Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerstand. Vollstreckungsbeamte. tätlicher Angriff. Vorsatz

 

Leitsatz (amtlich)

Ein tätlicher Angriff ist eine mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten oder Soldaten zielende Einwirkung. Eine körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters ist nicht erforderlich. Jedenfalls eine objektiv gefährliche, verletzungsgeeignete Handlung kann auch dann, wenn der Täter keinen Verletzungsvorsatz hat, ein tätlicher Angriff sein. Allein aus dem geringen Strafrahmensprung zwischen dem Grundtatbestand des § 114 Abs. 1 StGB und dem besonders schweren Fall i.S.v. § 114 Abs. 2 StGB folgt nicht das Erfordernis einer einschränkenden Auslegung des Grundtatbestands, wie sie in der Literatur teilweise gefordert wird (Anschluss an Senatsbeschluss vom 12.02.2019 - 4 RVs 9/19).

 

Normenkette

StGB § 114

 

Verfahrensgang

LG Detmold (Entscheidung vom 09.04.2019; Aktenzeichen 22 Ns 6/19)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird - unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum Tatgeschehen - aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold zurückverwiesen

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Detmold hat den Angeklagten mit Urteil vom 24.10.2018 - 2 Ds 44 Js 174/18 (468/18) - wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40,- Euro verurteilt.

Auf die Berufungen der Staatsanwaltschaft vom 25.10.2018, mit der diese eine Verurteilung auch wegen § 114 StGB erstrebte, und des Angeklagten vom 31.10.2018 hat das Landgericht Detmold mit Urteil vom 09.04.2019 - 22 Ns - 44 Js 174/18 (6/19) - die Höhe eines Tagessatzes auf 15,00 Euro reduziert und die Berufungen im Übrigen verworfen.

Das Landgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

"Die zuständige Ausländerbehörde der Stadt Detmold betrieb die Abschiebung des ghanaischen Staatsangehörigen J . J war am 19. Dezember 2016 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und stellte am 03. Januar 2017 einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 28. Februar 2017 als offensichtlich unbegründet ablehnte. Gleichzeitig wurde der J aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, andernfalls werde er abgeschoben. Der Bescheid ist seit dem 14. März 2017 bestandskräftig. Nach der Beschaffung von Passersatzpapieren über die ghanaische Botschaft war der Flug nach Ghana für den 22. Januar 2018 gebucht. Bei insgesamt fünf Belegungskontrollen in der dem J zugewiesenen Flüchtlingsunterkunft in Detmold im Januar 2018 stellten die Mitarbeiter der Ausländerbehörde Detmold fest, dass der J sich dort nicht aufhielt. Das Bett war jeweils ungenutzt. Am 11. Januar 2018 beantragte die Ausländerbehörde der Stadt Detmold beim Amtsgericht Detmold zur Durchführung der Abschiebung des J Sicherungshaft für die Dauer vom 15. Januar 2018 bis zum 29. März 2018. Gleichzeitig stellte sie einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung zur vorläufigen Freiheitsentziehung zwecks Festnahme und Vorführung beim Abschiebehaftrichter für die Dauer von längstens einem Tag ab dem Tag der Festnahme und bat um Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung mit Vollziehbarkeit bis zum 31. Dezember 2018. Der zuständige Richter beim Amtsgericht Detmold ordnete mit Beschluss vom 12. Januar 2018 im Wege der einstweiligen Anordnung gegen J Abschiebungshaft für die Dauer von einem Tag ab dem Zeitpunkt seines Ergreifens an. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass damit zu rechnen sei, dass der Betroffene sich der Vorführung nicht freiwillig zur Verfügung halte. Der Betroffene sei seit mehreren Monaten vollziehbar ausreisepflichtig, die Ausreisepflicht sei abgelaufen und er halte sich - zur Vereitelung seiner Abschiebung - allenfalls sporadisch unter der ihm zugewiesenen Anschrift auf.

Am 17. Januar 2018 befand sich der J ab ca. 9.00 Uhr zur Wahrnehmung eines Termins im Obergeschoss der Räumlichkeiten der Ausländerbehörde in der Grabenstraße in Detmold. Die Räume waren durch zwei offen einsehbare Treppenhäuser erreichbar. Der Angeklagte, der für die Flüchtlingshilfe M tätig ist, hielt sich zeitgleich mit einem anderen Asylbewerber dort auf. Für den J selbst war der Angeklagte nicht Bevollmächtigter. Der Zeuge T, zuständiger Mitarbeiter der Ausländerbehörde Detmold, wollte den J im Zuge seiner dortigen Anwesenheit aufgrund des Gerichtsbeschlusses vom 12. Januar 2018 vorläufig festnehmen. Aus diesem Grund bat er die Kreispolizeibehörde Detmold um Amtshilfe.

Um kurz nach neun Uhr trafen die uniformierten Polizeibeamten Polizeihauptkommissar C und Polizeikommissar K sowie kurz darauf Polizeihauptkommissar L an der Dienststelle der Ausländerbehörde Detmold in der Grabenstraße ein, wo sie vor der Tür von dem Zeugen T in den Sachverhalt eingewiesen wurden. T zeigte den Polizeibeamten ein Foto des J zur Identifizier...

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