Leitsatz (amtlich)
1. Die Benutzung des für diese Fahrtrichtung nicht freigegebenen Radwegs auf der gegenüberliegenden linken Straßenseite, begründet ein anspruchsminderndes Mit- bzw. Eigenverschulden wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 StVO i.V.m § 2 Abs. 4 S. 2 StVO, welches sich der Geschädigte nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB entgegenhalten lassen muss.
2. Die vorzunehmende Haftungsverteilung gegenüber einem aus einem Grundstück auf die Straße einfahrenden Kraftfahrer rechtfertigt eine Haftung von 1/3 zu 2/3 zu Gunsten der Radfahrerin.
Normenkette
StVG § 7 Abs. 1, § 9; StVO § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 016 O 185/14) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 04.05.2018 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 16. Zivilkammer des Landgerichts Münster teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin über den bereits ausgeurteilten Betrag hinaus einen weiteren Betrag in Höhe von 2.164,34 EUR, insgesamt also 4.977,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, die Beklagten zu 2) und 3) seit dem 27.06.2014 und der Beklagte zu 1) seit dem 09.07.2014, abzüglich unter dem 02.07.2018 gezahlter 2.813,57 EUR zu zahlen.
Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen. Die weitere Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 45 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 55 %.
Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen die Klägerin 94% und die Beklagten als Gesamtschuldner 6 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten abwenden gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zur Vollstreckung anstehenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin befuhr am 05.04.2011 gegen 10:40 h in N den Radweg der I-Straße stadteinwärts entgegen der zugelassenen Fahrtrichtung. Der Beklagte zu 1 beabsichtigte aus der Einfahrt des Hauses Nr. ..., in dem die Beklagte zu 2 ihren Firmensitz hat, mit dem bei der Beklagten zu 3 krafthaftpflichtversicherten Kraftfahrzeug der Beklagten zu 2 auf die I-Straße einzubiegen. Hierbei kam es zur Kollision mit der Klägerin, die frontal von dem anfahrenden Fahrzeug erfasst worden ist. Die Klägerin erlitt eine Tibiakopffraktur und eine Innenbandruptur links. Am 12.11.2012 zog sich die Klägerin in ihrer Wohnung einen Vorfußbruch zu, weil sie mit den von ihr benutzten Gehhilfen ins Straucheln geraten war.
Die Klägerin hat Ersatz ihres materiellen sowie ihres immateriellen Schadens, Feststellung der umfassenden Ersatzpflicht der Beklagten und Freistellung von den vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten verlangt.
Das Landgericht hat nach Anhörung der Parteien schriftliche medizinische Gutachten des Prof. Dr. T, Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie, und des Prof. Dr. I, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychoanalyse, eingeholt. Letzterer hat sein Gutachten vor dem Landgericht mündlich ergänzt und erläutert.
Durch das angefochtene Urteil, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen und der in erster Instanz gestellten Klageanträge gem. § 540 ZPO verwiesen wird, hat das Landgericht unter teilweiser Abweisung der Klage ein über bereits gezahlte 6.000,- EUR hinausgehendes Schmerzensgeld von 19.000,- EUR, Ersatz des mit 2.813,57 EUR bemessenen Haushaltsführungsschadens für den Zeitraum vom 05.04.2011 bis zum 30.04.2014 und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 1.954,46 EUR zuerkannt. Weiterhin hat es die Beklagten verpflichtet, der Klägerin den dieser künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden, soweit nicht auf Dritte übergegangen, nach einer Haftungsquote von 2/3 zu ersetzen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der diese ihre erstinstanzlichen Klageanträge unter Berücksichtigung der von der Beklagten zu 3 auf die ausgeurteilten Beträge erfolgten Zahlungen weiterverfolgt, soweit diesen nicht durch das Landgericht stattgeben worden ist. Sie rügt die Berücksichtigung eines Mitverschuldens bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge durch das Landgericht. Wegen ihres nur geringfügigen Verschuldens sei es angesichts des rücksichtslosen und grob fahrlässigen Verhaltens des Beklagten zu 1 gerechtfertigt, ihren Verursachungsbeitrag zurücktreten zu lassen. Ihre Einschränkung in der Haushaltsführungsfähigkeit sei, soweit diese unterhalb von 50% bemessen worden sei, unterbewertet.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den damit überreichten Unterlagen Bezug genommen.
Der Senat hat die Klägerin gem. § 141 ZPO angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den hierüber aufgenommenen Berichterstattervermerk verwiesen.
II. Die Berufung der Klägerin hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschul...