Leitsatz (amtlich)
Es obliegt dem Versicherer, voll zu beweisen, wann eine qualifizierte Mahnung (gemäß § 39 Abs. 1 VVG) dem Versicherungsnehmer zugegangen ist. Beweiserleichtungen oder Erfahrungssätze, etwa zu den Postlaufzeiten, zugunsten des Versicherers gibt es nicht.
Zur Beweiswürdigung in einem solchen Fall (Beweis von Versicherer nicht erbracht).
Normenkette
VVG § 39 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 21.11.2006; Aktenzeichen 9 O 433/05) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 21.11.2006 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des LG Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Deckungsschutz aus einer bei dieser im Jahre 2003 genommenen Haftpflichtversicherung (Risiko: "Hund") aus Anlass eines Vorfalles vom 1.8.2005 in Anspruch.
Die Klägerin hatte die für den Zeitraum vom 3.6.2005-3.6.2006 für die Haftpflichtversicherung geschuldete Prämie von 103,36 EUR zunächst nicht gezahlt, worauf sie von der Beklagten mit Schreiben vom 8.7.2005 qualifiziert gemahnt wurde. Der Zeitpunkt des Zuganges dieses Schreibens bei der Klägerin ist streitig. Ebenfalls streitig ist, wann das Mahnschreiben versandt worden ist. Die Klägerin behauptet einen Zugang am 20.7.2005; die Beklagte einen Versand am 12.7.2007 und einen Zugang am 13.7.2005.
Am 1.8.2005 führte der Ehemann der Klägerin den Hund der Klägerin spazieren. Dabei ereignete sich ein Unfall, bei dem die Nachbarin der Klägerin, Frau M, durch den Hund der Klägerin verletzt wurde. Wegen dieses Vorfalles nehmen Frau M und die AOK die Klägerin als Hundehalterin in Anspruch.
Noch am 1.8.2005 meldete der Ehemann der Klägerin dem Agenten der Beklagten A den Vorfall. Dabei teilte der Ehemann dem Zeugen A auch mit, dass die Beklagte bereits eine Mahnung mit Datum 8.7.2005 versandt hätte. Darauf teilte der Zeuge A dem Ehemann mit, dass kein Versicherungsschutz mehr bestünde, weil die 2-Wochen-Frist zur Zahlung der Prämie verstrichen sei. Er riet dem Ehemann die Prämie gleichwohl unverzüglich zu zahlen, was die Klägerin dann auch am 1.8.2005 erledigte.
Mit Schreiben vom 11.8.2005 lehnte die Beklagte ihre Einstandspflicht unter Hinweis auf die aus § 39 Abs. 2 VVG folgende Leistungsfreiheit ab. Mit Schreiben vom 15.9.2005 bat der Zeuge A die Beklagte um eine Kulanzregelung zugunsten der Klägerin. Am 6.10.2005 suchte die Klägerin ihre jetzige Prozessbevollmächtigte auf. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Frage des Versicherungsschutzes aus der Haftpflichtversicherung erörtert. Dabei wies die Prozessbevollmächtigte die Klägerin darauf hin, dass es zur Berechnung der 2-Wochen-Frist auf den Zugang der Mahnung ankäme, nicht auf das Datum des Mahnschreibens. Mit Schreiben vom 10. 10.2005 wandte sich die Prozessbevollmächtigte an die Beklagte und berief sich darauf, dass die Mahnung der Klägerin erst am 20.7.2005 zugegangen sei, so dass Leistungsfreiheit nicht eingetreten sei.
Die Klägerin hat behauptet, dass ihr die Mahnung vom 8.7.2005 erst am 20.7.2005 zugegangen sei. Nach dem Hinweis ihrer Prozessbevollmächtigten, dass es nicht auf das Datum, sondern auf den Zugang ankäme, habe sie eingehend überlegt, wann sie das Mahnschreiben erhalten habe. Sie sei zum Ergebnis gekommen, dass es der 20.7.2005 gewesen sein sei, da sie an dem Tage mit ihrer Freundin eingekauft habe und sie kurz zuvor den Brief geöffnet und zur Seite gestellt habe. Dann habe sie das Schreiben vergessen.
Die Beklagte hat behauptet, die Mahnung sei am 12.7.2005 versandt worden und der Klägerin spätestens am 13.7.2005 zugegangen.
Das LG hat die Klägerin (als Partei nach § 141 ZPO) angehört und zu den Umständen im Zusammenhang mit dem Zugang der Mahnung die Zeugen B, A, X und K vernommen. Es hat die begehrte Feststellung des Bestehens von Deckungsschutz für den Vorfall vom 1.8.2005 antragsgemäß getroffen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe nicht bewiesen, dass sich die Beklagte zum Zeitpunkt des Schadensfalles am 1.8.2005 in qualifiziertem Verzug befunden habe. Zwar sei davon auszugehen, dass die Mahnung am 12.7.2005 das Haus der Beklagten verlassen habe. Es sei aber nicht bewiesen, dass die Klägerin das Schreiben innerhalb von einem oder zwei Tagen erhalten habe. Es könne nicht mit ausreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Post innerhalb einer solchen Frist ausnahmslos alle Briefe zustelle. Die weiteren Umstände (insb. die Aussage der Zeugen) würden für die Richtigkeit der Darstellung der Klägerin sprechen. Danach sei die Darstellung der Klägerin, wonach das Schreiben am 20.7.2005 zugegangen sei, erwiesen, so dass die beantragte förmliche Parteivernehmung der Klägerin nicht mehr in Betracht käme.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt:
Das LG habe sich mit keinem Wort mit der Rechtsprechung beschäftigt, wonach der Zugang eines qualifizierten Mahnschreibens auch durch In...