Leitsatz (amtlich)
Die Voraussetzungen des § 839a BGB liegen nicht vor, wenn der Vorprozess, in dem der in Anspruch genommene Sachverständige ein vermeintlich unrichtiges Gutachten erstattet hat, auch mit einem mangelfreien Gutachten mit demselben Ergebnis entschieden worden wäre. Im Einzelfall kann das Gericht über diese mit dem Beweismaß des § 287 ZPO zu beurteilende Frage der haftungsausfüllenden Kausalität auch ohne weiteres Sachverständigengutachten entscheiden. Eine Amtshaftung für richterliches Verhalten setzt - wenn das Spruchrichterprivileg nicht anwendbar ist - voraus, dass das richterliche Verhalten nicht mehr vertreterbar ist, es muss bei voller Würdigung der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege nicht mehr verständlich sein.
Normenkette
BGB § 839 i.V.m, § 839a; GG Art. 34; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 12 O 401/18) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 15. Juli 2020 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern die Beklagten vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 1.) wegen Erstattung eines ihrer Ansicht nach unrichtigen familienpsychologischen Sachverständigengutachtens und das zweitbeklagte Land A wegen ihrer Ansicht nach hierauf gestützter, unvertretbarer Sorgerechtsentscheidungen des Amtsgerichts B und des Oberlandesgerichts C in Anspruch.
Die Klägerin ist die Mutter des minderjährigen Kindes E D, geboren am 00.00.2006, für das sie das alleinige Sorgerecht innehatte.
Mit Schreiben vom 19.06.2013 unterrichtete das Jugendamt der Stadt F gemäß §§ 8a, 50 SGB VIII das Amtsgericht - Familiengericht - Ibbenbüren über eine von ihm gesehene Kindeswohlgefährdung Es. Unter anderem unter Bezugnahme auf eine beigefügte ärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie G vom 15.11.2012 führte es aus, dass bei E deutliche Symptome einer Bindungsstörung mit Enthemmung, ADHS, einer emotionalen Störung des Kindesalters sowie einer Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten und ein Verdacht auf Deprivation vorliegen würden. Nach Einschätzung des Jugendamtes benötige E für ihre gesunde Entwicklung ein konstantes Bindungs- und Beziehungsangebot mit viel Strukturierung und engmaschiger Begleitung, wozu es einer Fremdunterbringung des Kindes in einer stationären, familienanalogen Einrichtung bedürfe, auf die sich die Kindesmutter aber nicht einlassen könne.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Ibbenbüren hat in dem daraufhin eingeleiteten Verfahren 40 F 97/13 mit Beschluss vom 27.08.2013 (Bl. 102 f. der Akten 40 F 97/13 AG Ibbenbüren) die Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens der Beklagten zu 1.), einer promovierten Diplom-Psychologin, angeordnet. In ihrem schriftlichen Gutachten vom 19.11.2014, welches sie am 12.03.2015 mündlich weiter erläuterte, gelangte die Beklagte zu 1.) zu dem Ergebnis, dass es bei dem Kind durch eine massiv eingeschränkte Mutter-Kind-Beziehung zu erheblichen Störungen und Beeinträchtigungen in wesentlichen Bereichen der kindlichen Entwicklung gekommen sei, die einen herausgehobenen Betreuungs- und Förderbedarf des Kindes begründeten. Die Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter sei als deutlich eingeschränkt zu bewerten. Sie habe das Ausmaß der Störungen des Kindes und der Bindung nicht ausreichend erfasst. Es bestehe bei ihr kaum Einsicht in das Ausmaß eigener Defizite und kaum ein realistisches und kindgemäßes Bild vom Bedarf des Kindes. Die realitätsverzerrende Wahrnehmung der Kindesmutter in die eigenen mütterlichen Kompetenzen sei für das Kind hoch dysfunktional. Aufgrund der massiven Bindungsbedürfnisse des Kindes sei ein intensiver 1-zu-1-Kontakt vorzuziehen, in dessen Rahmen das Kind ein unbedingtes Bindungsangebot vermittelt bekomme. Daher sei eine dauerhafte Fremdunterbringung des Kindes in einer professionellen Pflegefamilie anzuraten. Es sei davon auszugehen, dass die Kindesmutter die Notwendigkeit einer dauerhaften Fremdplatzierung des Kindes nicht einsehen und unterstützen könne. In diesem Fall müsse zu einem Sorgerechtsentzug für die relevanten Sorgerechtsanteile geraten werden. Wegen der weiteren Einzelheiten des schriftlichen und mündlichen Gutachtens wird auf Blatt 119 bis 195 und Blatt 324 bis 327 der Akten 40 F 97/13 AG Ibbenbüren Bezug genommen. Das familiengerichtliche Verfahren endete damit, dass der Klägerin mit Beschluss vom 13.07.2015 die elterliche Sorge für das Kind entzogen und die Vormundschaft durch den Fachdienst Jugend und Familie der Stadt F angeordnet wurde. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wir...