Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung eines Notars, der einen wegen eines Verstoßes gegen § 2347 BGB unwirksamen Pflichtteilsverzichtsvertrag beurkundet, und zur Frage, wann hieraus dem Erben ein Schaden entsteht, so dass die 10jährige, kenntnisunabhängige Verjährungsfrist beginnt.
Normenkette
BeurkG § 17; BGB § 2347; BNotO § 19; HöfeO §§ 12-13; ZPO § 256
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 202 O 1126/21) |
Tenor
Hinweis: Der Senat hat die Revision zugelassen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16.09.2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Münster (Az. 202 O 1126/21) abgeändert.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin den Schaden zu ersetzen hat, der daraus folgt, dass der von Seiten der Schwester der Klägerin, der Frau A, B-Straße 01, in C erklärte Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsverzicht, die getätigte Abfindungserklärung hinsichtlich § 12 HöfeO und die Erklärung hinsichtlich § 13 HöfeO aus der Urkunde des Beklagten mit dessen Urkundenrollen-Nummer ...8/2006 vom 06.02.2006 unwirksam sind.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreck- baren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicher- heit in Höhe 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer klägerseits behaupteten notariellen Amtspflichtverletzung des Beklagten, der bis zum 31.03.2022 Notar mit dem Amtssitz in D (Westfalen) war.
Die Klägerin ist Tochter und aufgrund eines notariellen Testaments vom 14.12.2005 (Bl. 8-10 LG-Akte), vom Beklagten unter der Urk.-Nr. 004/2005 beurkundet, Hofes- und Alleinerbin des am 00.00.1947 geborenen und am 00.00.2020 verstorbenen Landwirts E (im Folgenden: Erblasser). Im Testament wurde durch den Erblasser der Wert des Vermögens für die Kostenberechnung mit 330.000,00 EUR angegeben.
Der verwitwete Erblasser war bis zu seinem Tode Eigentümer des im Grundbuch von G 01 eingetragenen landwirtschaftlichen Grundbesitzes in F, bei dem es sich um einen Hof im Sinne der Höfeordnung handelt.
Unter der Urkunden Nr. ...8/2006 beurkundete der Beklagte am 06.02.2006 eine zwischen dem Erblasser (als Beteiligten zu 1) und dessen Töchtern, der Klägerin (als Erschienene zu 3) und Frau A (als Erschienene zu 2) als Pflichtteilsverzichtsvertrag bezeichnete Vereinbarung (Bl. 14-18 LG-Akte). Diese enthielt (u.a.) folgende Regelungen:
"§ 1
Die Erschienene zu 2. verzichtet gegenüber dem Beteiligten zu 1. für sich und ihre Abkömmlinge [...] auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht und ihre Pflichtteil- sergänzungsansprüche.
Der Beteiligte zu 1. nimmt diesen Verzicht an. [...]
§ 4
[...] 1. Die Erschienene zu 2. erklärt sich hinsichtlich des hier bezeichneten Hofes für abgefunden und verzichtet endgültig und unwiderruflich auf die Geltendma- chung weitergehender Abfindungsansprüche gemäß § 12 der Höfeordnung aus Anlass der notariellen Erbeinsetzung meiner Schwester Marion.
[...] 2. Zum Zwecke der Abfindung für die hofes- und hofesfreien Ansprüche verpflich- tet sich die Erschienene zu 3. an die Erschienene zu 2. einen Betrag in Höhe von 30.000,00 EURO -i.W. dreißigtausend EURO- zu zahlen.
[...]
Ich, die Erschienene zu 2. erkläre mich damit einverstanden, dass dieser Betrag für meinen etwaigen Nachabfindungsanspruch gemäß § 13 HöfeO anzurech- nen ist.
3. Der vorbezeichnete Verzicht erstreckt sich unter der nachfolgenden Maßgabe auch auf Ergänzungsabfindungsansprüche gemäß § 13 Höfeordnung, über dessen Inhalt ich ausführlich belehrt wurde. Sollte der potentielle Hofesüber- nehmer innerhalb der Frist des § 13 Höfeordnung -somit nach Übertragung des Betriebes, sei es durch tatsächlichen Erbfall oder vorweggenommene Erbfolge- Handlungen vornehmen, die Ergänzungsabfindungsansprüche, heute oder zu- künftig, auszulösen imstande sind, insbesondere den Hof oder einzelne Grund- stücke, Liefer-, wie Brennrechte oder Anlieferungsreferenzmengen Milch des Hofes verkaufen oder sonstige Verwertungsmaßnahmen im Sinne von § 13 Hö- feordnung treffen, so verzichte ich auf die Geltendmachung von Abfindungsan- sprüchen gemäß §1 3 Höfeordnung, sofern der hiermit erzielte Erlös innerhalb von fünf Jahren in beliebige Wirtschaftsgüter des landwirtschaftlichen Betriebes reinvestiert wird. Auf einen gleichwertigen Erwerb von Ersatzland kommt es da- bei nicht an; hierdurch soll dem Hofesübemehmer ermöglicht werden, den Hof aus etwaigen Erlösen zu vergrößern. [...]
4. Der vorbezeichnete Verzicht richtet sich an die Beteiligten zu 1. und 3. 5.
Die Beteiligten zu 1. und 3. erklären hiermit jeder für sich die Annahme vorstehender Verzichtserklärung. Der Wert der Urkunde wird mit 30.000 EURO angegeben.
Der Notar wies darauf hin, dass zur Wirksamkeit des Verzichtsvertrages die notarielle Zustimmung des E erforderlich ist. Solange ist der Pflicht- teilsverzichtsvertrag ...