Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung der Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Inverkehrbringens eines von, ihr hergestellten Fahrzeugs in das ein von der Volkswagen AG entwickelter Motor EA 189 mit einer Manipulationssoftware eingebaut wurde.
Normenkette
BGB § 826
Verfahrensgang
LG Siegen (Aktenzeichen 2 O 49/19) |
Tenor
Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das am 13.12.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Siegen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.975,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.02.2019 zu zahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des PKW B ...0, FIN: ...0...000001.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des obigen Angebots in Verzug befindet.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 57 % und die Beklagte 43 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beide Parteien können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für sie aufgrund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. X-Dieselskandal.
Die Klägerin erwarb am 28.02.2013 zu einem Kaufpreis von 22.600,00 EUR ein gebrauchtes Fahrzeug B ...0 T, 1,6 TDI mit einer Leistung 77 kW (Datum der Erstzulassung: 06.06.2012), das zu diesem Zeitpunkt eine Laufleistung von 3.050 km hatte (Anlage K 1).
Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor mit der internen Typbezeichnung EA 189 ausgestattet. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs und des in dem Fahrzeug verbauten Motors, wie sich aus der EG-Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug (Anlage K 4) ergibt. Dieser ist ausweislich eines bestandskräftigen Bescheides des Kraftfahrtbundesamtes vom 15.10.2015 mit einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware (Abschalteinrichtung) ausgestattet. Die Software erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet und schaltet in diesem Fall in den stickstoff-optimierten Modus 1. In diesem Modus findet eine relativ hohe Abgasrückführung statt mit niedrigem Stickoxidausstoß. Im normalen Fahrbetrieb schaltet der Motor in den Modus 0 um, bei dem die Abgasrückführung geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Die Beklagte informierte die Klägerin mit einem Schreiben aus Februar 2016 über die Betroffenheit ihres Fahrzeugs (eGA 185). Das für die betroffenen EA 189-Motoren entwickelte und von dem Kraftfahrt-Bundesamt freigegebene Software-Update wurde am 07.03.2017 an dem Fahrzeug der Klägerin durchgeführt.
Die Klägerin hat behauptet, der flächendeckende Einsatz der Manipulationssoftware sei mit Wissen und Wollen des Vorstandes der Beklagten und der Konzernleitung erfolgt. Die Beklagte habe den Motor EA 189 mitentwickelt. Durch die straffe und klare Organisationsstruktur und das Reportingsystem der Beklagten sei ausgeschlossen gewesen, dass der Entwicklungsauftrag und der Einsatzbefehl betreffend den Einsatz der entwickelten Betrugssoftware an den Modellen EA 189 von jemand anderem als dem Vorstand getroffen werden konnten. Ebenso sei ausgeschlossen, dass die internen und externen Warnhinweise an die Beklagte von Beteiligen, denen das Betrugsmodell der Beklagten aufgefallen sei, den Vorstand nicht erreicht hätten. Die Beklagte sei schon seit 1993 und sei auch heute noch zertifiziert nach ISO 9001. Die Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001 setze Lenkung und Steuerung des Unternehmens durch den Vorstand voraus, dem als Führung des Unternehmens nach den beschriebenen Organisationsstrukturen keine Informationen vorenthalten würden. Durch die Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001 sei gewährleistet, dass die Leitung und Entscheidungsfindung durch den Vorstand erfolge. Da die Beklagte Motorenherstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei, worauf sie in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung explizit hinweise, sei ihr jedenfalls aus dem Qualitätskontrollverfahren bekannt, wie der von ihr hergestellte Motor im Prüflauf und außerhalb des Prüfstandes (oder bei Temperaturänderung) sich verhalte, mithin mit einer Täuschungssoftware ausgestattet sei. Die Beklagte habe in eigenem Namen und in eigener Verantwortung die falsche Erklärung abgegeben, das streitgegenständliche Fahrzeug entspreche den gesetzlichen Anforderungen an den NOx-Ausstoß, wobei ihr die Bedeutung der Angabe des NOx-Ausstoßes für die Zulassungsfähigkeit bekannt gewesen sei.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ein Bestreiten der Beklagten mit Nichtwissen sei gem. § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig. Wer die Personen seien, welche die Entscheidung über die Entwicklung und den flächendeckenden Einsatz der Täuschungssoftware getroffen hätten, sei Gegenstand der eigenen Wahrnehmung der Beklagten.
Die Klägeri...