Leitsatz (amtlich)
1. Erwirbt der Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Heilfürsorge während des Strafvollzugs wegen einer zeitigen Freiheitsstrafe, ist eine hierauf gestützte außerordentliche Kündigung der Krankheitskostenversicherung seitens des Versicherungsnehmers nach § 178h Abs. 2 Satz 3 VVG aF/§ 205 Abs. 2 Satz 5 VVG n.F. unwirksam.
2. Der Versicherer ist nach Treu und Glauben zur Zurückweisung dieser außerordentlichen Kündigung verpflichtet, wenn aus den Umständen ersichtlich ist, dass es dem Versicherungsnehmer nur um die Befreiung von der Beitragsbelastung während des Eintretens der Heilfürsorge geht und nicht darum, auch für die Zeit nach der Haftentlassung den Krankenversicherungsschutz zu beenden. In diesen Fällen hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer die Umstellung auf eine Ruhensversicherung (Anwartschaftsversicherung) anzubieten.
Normenkette
VVG a.F. § 178h Abs. 2 S. 3; VVG n.F. § 205 Abs. 2 S. 5
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 04.08.2011; Aktenzeichen 18 O 16/11) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 4.8.2011 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des LG Essen (Az 18 O 16/11) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des angefochtenen Urteils wie folgt gefasst wird:
Es wird festgestellt, dass der Krankenversicherungsvertrag mit der Nummer.../.../... weder durch die bei der Beklagten am 25.9.2008 eingegangene Kündigung noch durch die Kündigung der Beklagten vom 13.11.2008 beendet worden ist, sondern fortbesteht.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das angefochtene Urteil des LG Essen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die Feststellung des Fortbestandes einer bei der Beklagten seit Dezember 1988 unterhaltenen privaten Krankheitskostenversicherung zum Tarif CV3H1 mit einer jährlichen Selbstbeteiligung von 1.000 EUR. Dem Vertrag zur Ver-sicherungsscheinnummer.../.../... lagen die Allgemeinen Versicherungs-bedingungen der Beklagten in Form der Rahmenbedingungen 2008 (RB/KK 2008) und der Tarifbedingungen 2008 (TB/KK 2008) zugrunde. Zur Kündigung der Versicherung durch den Versicherungsnehmer heißt es in § 17 Abs. 3 RB/KK 2008:
"Wird eine versicherte Person kraft Gesetzes krankenversicherungspflichtig, kann der Versicherungsnehmer binnen drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht insoweit eine Krankheitskosten-versicherung oder eine dafür bestehende Anwartschaftsversicherung rückwirkend zum Eintritt der Versicherungspflicht kündigen. Die Kündigung ist unwirksam, wenn der Versicherungsnehmer den Eintritt der Versicherungspflicht nicht innerhalb von zwei Monaten nachweist, nachdem der Versicherer ihn hierzu in Textform aufgefor-dert hat, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat die Versäumung dieser Frist nicht zu vertreten. Später kann der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhält-nis insoweit nur zum Ende des Monats kündigen, indem er den Eintritt der Versiche-rungspflicht nachweist. Der Versicherungspflicht steht der gesetzliche Anspruch auf Familienversicherung oder der nicht nur vorübergehende Anspruch auf Heilfürsorge aus einem beamtenrechtlichen oder ähnlichen Dienstverhältnis gleich. (...)"
Der Kläger war vom 29.11.2007 bis zum 27.7.2010 zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe in der JVA I inhaftiert. Für diese Zeit hatte er seinen Stiefsohn mit der Erledigung seines Zahlungsverkehrs, auch der Beitragsentrichtung an die Beklagte, beauftragt und ihm entsprechende Kontovollmacht erteilt. Die Beklagte mahnte Beitragsrückstände gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 07.03. und 5.9.2008 an, die sie an die vormalige Privatanschrift des Klägers, T Straße 155 in H, versandte (Bl. 40 f., 42 f. GA).
Am 25.9.2008 ging der Beklagten eine Haftbescheinigung der JVA I vom 18.9.2008 zu, nach der der Kläger seit dem 29.11.2007 inhaftiert sei und voraussichtlich am 28.11.2011 entlassen werde (Bl. 44 d.A.). Ob die Beklagte mit dieser Haftbescheinigung auch ein handschriftlich im Namen des Klägers gefertigtes und unterzeichnetes Kündigungssschreiben erhielt, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls bestätigte die Beklagte mit Schreiben vom 21.10.2008, welches sie wiederum an die vormalige Privatanschrift des Klägers in H adressierte, die Beendigung des privaten Krankenversicherungsschutzes zum 30.9.2008 (Bl. 47 d.A.). Ebenfalls an die Privatanschrift des Klägers versandte sie unter dem 13.11.2008 eine Kündigung gem. § 39 VVG wegen Prämienrückstands i.H.v. 472,97 EUR (Bl. 48 d.A.).
Kurz vor Ende seiner Haftzeit beantragte der Kläger mit einem von seiner Bewährungshelferin T1 G gefertigten und von ihm unterzeichneten Schreiben unter dem 20.7.2010 die Aufnahme in den Basistarif zum 27.7.2010 "auf-grund meiner Haftentlassung und der vorherigen Versicherungszeit" (Bl. 6 d.A.). Nachdem die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 11.8.2010 den Tarif und die Voraussetzungen des Basistarifs aufgezeigt hatte (Bl. 7 d.A.), beantragte der Kläger - wiederum mit Hilfe seiner Bewä...