Leitsatz (amtlich)
1. Es bleibt offen, ob es prozessual beachtlich ist, wenn der Berufsunfähigkeitsversicherer sich zu dem Berufsbild des Versicherungsnehmers im Rechtsstreit schlicht mit Nichtwissen erklärt, obschon er zuvor umfassend Auskünfte einholen konnte und eingeholt hat und keine Anhaltspunkte für Falschangaben des Versicherungsnehmers bestehen. Jedenfalls muss sich der Versicherer im Einzelnen zu dem Vortrag des Versicherungsnehmers erklären; sein Bestreiten kann - wie hier - gemäß § 138 Abs. 2 ZPO unbeachtlich sein.
2. Zum Beweis von Berufsunfähigkeit bei einer Fatigue-Erkrankung; Beweis hier geführt.
Verfahrensgang
LG Detmold (Aktenzeichen 02 O 299/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29.11.2022 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Detmold (2 O 299/20) unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 138.872,10 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 131.411,28 EUR ab dem 09.09.2020 und aus weiteren 7.460,82 EUR ab dem 08.01.2021.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, der Klägerin beginnend mit dem Monat Oktober 2020 aus der zwischen den Parteien bestehenden Versicherung zur Versicherungsschein-Nummer N01 eine jeweils monatlich im Voraus bis zum 3. Werktag eines jeden Monats zu zahlende Berufsunfähigkeitsrente von monatlich 2.527,14 EUR zu zahlen bis längstens 01.12.2027, für den Zeitraum vom 01.10.2020 bis zum 30.08.2023 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 4. Werktag eines jeden Monats.
Es wird festgestellt, dass die Klägerin beginnend mit dem Monat Januar 2021 von ihrer Beitragspflicht aus der zwischen den Parteien bei der Beklagten bestehenden Versicherung zu Versicherungs-Nr.: N01 befreit ist bis längstens zum 01.12.2027.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin zusätzlich zu der monatlichen Berufsunfähigkeitsrente an den jeweiligen Überschussanteilen zu beteiligen und den jährlichen Überschussanteil als Rentenzuwachs mit der Rente in gleichen Raten zu zahlen, beginnend mit dem 01. 01. 2017 und endend spätestens zum 01.12.2027.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin ihrerseits vor einer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin, eine im Dezember 1996 verbeamtete Grundschullehrerin, hat bei der Beklagten ab dem 01.12.2003 eine selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung mit Dynamik für 24 Jahre genommen, also längstens bis zum 01.12.2027. Der um die Überschussbeteiligung verminderte monatliche Beitrag betrug ab dem 01.12.2015 128,28 EUR, ab dem 01.12.2017 134,69 EUR und ab dem 01.12.2018 141,42 EUR. Die Beiträge zahlte die Klägerin bis zum 31.12.2020 vollständig (7.460,82 EUR). Die monatliche Rente im Falle bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit war zuletzt mit 2.527,14 EUR vereinbart. Die Klägerin macht mit der Klage Leistungen seit Juni 2016 geltend.
Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung (Stand: April 2003, Bl. 93 ff. der elektronischen Gerichtsakte erster Instanz, im Folgenden: eGA-I bzw. eGA-II für die Akte der zweiten Instanz) zugrunde. Nach Nr. 1.1 der Bedingungen umfasst die Versicherung die monatliche Rente und eine Beitragsbefreiung, wenn der Versicherte mindestens 50 % berufsunfähig ist, und zwar nach Nr. 1.2 nach Ablauf des Monats, in dem Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Berufsunfähigkeit ist in Nr. 2 der Bedingungen wie folgt definiert:
2. Was Ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?
(2.1) Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außerstande ist, seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen ausgestaltet war, auszuüben. Wir verzichten auf eine abstrakte Verweisung.
Berufsunfähigkeit liegt nicht vor, wenn der Versicherte in zumutbarer Weise
a) eine andere Tätigkeit konkret ausübt, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung hinsichtlich Vergütung und sozialer Wertschätzung entspricht;
b) als Selbständiger nach betrieblich sinnvoller Umorganisation ohne erheblichen Kapitaleinsatz innerhalb seines Betriebs noch eine Tätigkeit ausüben könnte, die seiner Stellung als Betriebsinhaber angemessen ist, oder
c) als Angestellter nach Umgestaltung seines Arbeitsplatzes weiter tätig sein könnte und der Arbeitgeber der...