Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherung: Vorsätzliches Verschwiegen von Vorerkrankungen in einer Unfallanzeige (§ 6 Abs. 3 VVG); Invaliditätsbemessung zum Zeitpunkt drei Jahre nach dem Unfall

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wie die Frage im Formular einer Unfallanzeige

"Bestehen oder bestanden unabhängig von den Folgen des jetzigen Unfalls Krankheiten oder Gebrechen? ggf. welche, Name(n) und Anschrift(en) behandelnder Ärzte"

zu verstehen ist, erscheint zweifelhaft. Dies ist, wenn eine Falschangabe des Versicherungsnehmers bejaht wird, auch bei dem vom Versicherungsnehmer zu führenden (vorliegend erbrachten) Beweis zur Widerlegung der Vorsatzvermutung zu berücksichtigen.

2. Maßgeblich für die Bemessung der Invalidität ist (in Anlehnung an die in den Allgemeinen Unfallbedingungen vorgesehenen Regelungen zur Nachbemessung) der Zustand drei Jahre nach dem Unfall (vgl. bereits BGH VersR 1981, 1151 unter II.2). Spätere Entwicklungen sind nicht zu berücksichtigen (vgl. BGH VersR 1990, 478 unter 2a), jedenfalls nicht, wenn sie ungewiss sind (vgl. BGH, VersR 2005, 927 unter II.1 und 2).

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Urteil vom 22.02.2007; Aktenzeichen 2 O 586/04)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 22.2.2007 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Dortmund abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 19.173,50 EUR nebst 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2004 abzgl. am 10.1.2003 gezahlter 5.000 EUR und am 23.7.2004 gezahlter 10.000 EUR zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 97 % und die Beklagte 3 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Der Kläger erlitt bei einem Tandemfallschirmsprung am 8.9.2002 eine Berstungsfraktur des Lendenwirbelkörpers 3 mit Nervenwurzelschädigung und Auswirkungen auf die Lendenwirbelkörper 2 und 4. Aus einer bei der Beklagten genommenen Unfallversicherung begehrt er Zahlung einer Kapitalleistung von insgesamt 38.347 EUR nebst Zinsen sowie die Feststellung, dass ihm ab September 2002 eine bedingungsgemäße monatliche Rente (von zunächst 766,94 EUR) zu zahlen sei. Gezahlte Vorschüsse von (zusammen) 15.000 EUR, welche ungefähr einer Invalidität von 30 % entsprechen, lässt er sich anrechnen.

Er hat geltend gemacht, die unfallbedingte Invalidität betrage 50 %; die Beklagte schulde daher nicht nur eine höhere Kapitalleistung, sondern auch die für den Fall einer Invalidität von mindestens 50 % vereinbarte Rente.

Die Beklagte hat sich u.a. auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung berufen. Hierzu hat sie darauf verwiesen, dass der Kläger in der Unfallanzeige vom 24.9.2002, wegen deren Einzelheiten auf die von der Beklagten überreichte Anlage B2, dort S. 3, Bezug genommen wird, die Frage 13

"Bestehen oder bestanden unabhängig von den Folgen des jetzigen Unfalls Krankheiten oder Gebrechen? ggf. welche, Name(n) und Anschrift(en) behandelnder Ärzte"

verneinte. Tatsächlich litt er in den Jahren 1991, 1992, 1994 und 1996 unter Rückenbeschwerden und im Juni/Juli 2002 unter einer akuten Schultersteife mit einer Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule. Zudem litt er unter Depression und war deswegen als dienstunfähig aus dem ...-dienst ausgeschieden. Schließlich bestand eine kompensierte Niereninsuffizienz.

Das LG hat zur Frage der Invalidität vorbereitend ein Gutachten des Orthopäden Professor Dr. S eingeholt, welcher darin eine Invalidität von 60 % angenommen hat. Nach Anhörung des Klägers in der - ersten - mündlichen Verhandlung am 1.2.2007 hat es dann die Klage wegen der von der Beklagten geltend gemachten Obliegenheitsverletzung abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung und des Sach- und Streitstandes in erster Instanz (einschließlich der Anträge) wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge im Wesentlichen weiter. Er beantragt nunmehr,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Kapitalleistung von 38.347 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 16.12.2004 (Rechtshängigkeit) zu zahlen abzgl. am 10.1.2003 gezahlter 5.000 EUR und am 23.7.2004 gezahlter 10.000 EUR,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, eine laufende Unfallrente in bedingungsgemäßer Höhe ab September 2002 zu zahlen.

Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen erster Instanz.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in dieser Instanz wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Der Senat hat den Kläger persönlich gehö...

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