Leitsatz (amtlich)
Für die Beurteilung der "medizinischen Notwendigkeit" eines Rücktransports sind maßgeblich die seinerzeitigen Erkenntnismöglichkeiten des Versicherungsnehmers oder der für diesen handelnden Personen. Wenn der Versicherer Schutz ablehnt und der Versicherungsnehmer das Ergebnis gebotener Erkundigungen beachtet, kann der Versicherer sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es auch noch andere Handlungsmöglichkeiten gegeben hätte.
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 7 O 130/17) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 08. Februar 2018 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung restlicher Kosten für einen Rücktransport aus dem Ausland mit einem Charterflugzeug. Sie unterhält seit 1994 bei der Beklagten eine Auslandsreise - Krankenversicherung.
Nach den vertraglichen Vereinbarungen besteht Versicherungsschutz unter anderem bei einem im Ausland unvorhergesehen eintretenden Versicherungsfall, welcher als medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen definiert ist.
Die Leistungen der Beklagten sehen unter anderem einen Rücktransport aus dem Ausland vor. Die entsprechende Klausel in den Versicherungsbedingungen der Beklagten (§ 4 Nr. 2) lautet wie folgt: "Die Mehrkosten eines medizinisch notwendigen und ärztlich angeordneten Rücktransports aus dem Ausland werden erstattet, wenn an Ort und Stelle bzw. in zumutbarer Entfernung eine ausreichende medizinische Behandlung nicht gewährleistet und dadurch eine Gesundheitsschädigung zu befürchten ist. Zusätzlich werden die Mehrkosten für eine Begleitperson erstattet, wenn die Begleitung medizinisch notwendig und ärztlich angeordnet ist. Die Rückführung muss an den ständigen Wohnsitz oder in das von dort nächsterreichbare geeignete Krankenhaus erfolgen. Soweit medizinische Gründe nicht entgegenstehen, ist das jeweils kostengünstigste Transportmittel zu wählen."
Als vertragliche Serviceleistung bietet die Beklagte zudem einen 24 Stundennotruf sowie die "Organisation des Krankenrücktransportes" an.
Die Klägerin erlitt am 03.07.2015 in Rumänien als Radfahrerin einen Verkehrsunfall, bei dem sie u.a. eine Schlüsselbeinfraktur, eine Rippenserienfraktur mit Pneumothorax und eine Lungenkontusion erlitt.
Ihr Vater beantragte bei der Beklagten telefonisch einen Rücktransport. Dies wurde von der Beklagten unter Hinweis darauf, dass nach Auskunft eines Arztes in Rumänien die Klägerin bald aus der stationären Behandlung entlassen werden könne, abgelehnt, was objektiv nicht zutraf.
Aufgrund der Weigerung der Beklagten setzte sich der Vater der Klägerin mit der B Versicherungs-AG in Verbindung. Diese teilte dem Vater mit, dass nach ihren Recherchen die beiden am nächsten zu dem Krankenhaus gelegenen Flughäfen in Rumänien nicht von Linienflugzeugen angeflogen werden würden, welche die Möglichkeit eines Liegendtransports (mit einem sog. "Stretcher") böten.
Die behandelnde Ärztin der Klägerin hatte sich zudem gegen einen solchen Liegendtransport mit einem Linienflugzeug unter Hinweis darauf ausgesprochen, dass die Druckverhältnisse in einem solchen Flugzeug wegen der Lungenverletzung der Klägerin zu gefährlich seien.
Der Vater der Klägerin beauftragte daraufhin die B Versicherungs-AG mit dem Rücktransport der Klägerin durch ein Ambulanzflugzeug. Die Klägerin wurde am 08.07.2015 nach Hamburg, dem Wohnort Ihres Vaters, geflogen. Wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig geworden ist, hätte ein Flug zu dem am nächsten zum Wohnwert der Klägerin gelegenen Flughafen (Münster) dasselbe gekostet.
Die B Versicherungs-AG stellte der Klägerin für den Flug einen Betrag von 16.800 EUR in Rechnung. Nachdem die Klägerin die Beklagte zur Zahlung dieses Betrages aufgefordert hatte, erstattete die Beklagte nach erneuter Prüfung einen Betrag von 7.300 EUR mit der Begründung, dass zwar eine medizinische Notwendigkeit für einen Rücktransport bestanden habe. Nicht notwendig gewesen sei aber der Ambulanzflug, da ein Rückflug mit einem Linienflugzeug - bei einem Liegendtransport auf einem Stretcher - von Belgrad (Serbien) aus möglich gewesen wäre. Ein solcher Flug hätte lediglich 7.300 EUR gekostet. Die Entfernung zwischen dem Krankenhaus, in welchem die Klägerin lag, und Belgrad beträgt über 300 km.
Dabei war - wie vor dem Senat unstreitig gewesen ist (siehe auch bereits Schriftsatz der Beklagten vom 29.08.2017, dort S. 3 = GA 69) - nicht nur ein Liegendtransport, sondern ein ärztlich begleiteter Liegendflug medizinisch notwendig.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung des restlichen Betrags von 9.500 EUR (16.800 EUR abzgl. 7.300 EUR) nebst vorgerichtlichen Anwaltskosten mit der Begründung geltend gemacht, dass der Rücktransport per Ambulanzflugzeug medizinisch notwendig gewesen sei. Sie habe schwere Verletzungen erlitten, di...