Leitsatz (amtlich)
1. Der Verlust einer tatsächlichen oder rechtlichen Position, auf die der Mandant aufgrund der objektiven Umstände keinen Anspruch hatte, stellt bei wertender Betrachtung keinen ersatzfähigen Schaden dar.
2. Die Beraterhaftung entfällt jedoch nicht, wenn das Finanzamt an einer verbösernden Entscheidung gehindert ist, weil die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht erfüllt sind.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 367 Abs. 2 S. 2; BGB § 280; ZPO § 287 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Siegen (Urteil vom 24.02.2011; Aktenzeichen 2 O 399/09) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 24.2.2011 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Siegen unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger i.H.v. 8.759,70 EUR nebst Zin-sen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.11.2007 von seiner Einkommensteuerschuld gegenüber dem Finanzamt N zur Steuernummer 334/.../... gemäß Einspruchsbescheid vom 15.10.2007 freizustellen.
Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 873,52 EUR zu zahlen.
Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/4 und der Beklagte zu ¾.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt den beklagten Rechtsanwalt, der den Kläger in einer Steuerangelegenheit beraten hat, wegen anwaltlicher Pflichtverletzung in Anspruch, nachdem das Finanzamt nach einem Einspruch des Beklagten gegen einen Einkommensteuerbescheid eine verbösernde Entscheidung getroffen hat.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete im Jahr 2004. Der Kläger erhielt im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Prozessvergleichs eine Abfindung i.H.v. 95.000 EUR. Darüber hinaus bezog der Kläger Arbeitsentgelt. Nach einer Außenprüfung durch das für den Arbeitgeber zuständige Finanzamt M erhielt das für den Kläger zuständige Finanzamt N eine (unrichtige) Kontrollmitteilung, wonach der Kläger eine Abfindung von 113.287 EUR erhalten habe. Später reichte der Kläger bei dem Finanzamt N seine Einkommensteuerklärung für das Jahr 2004 ein. Unter anderen überreichte er das Sitzungsprotokoll mit dem arbeitsgerichtlichen Prozessvergleich. Einen Teil seines Arbeitsentgeltes i.H.v. 4.764 EUR gab er nicht an. Das Finanzamt setzte durch Einkommensteuerbescheid von 15.12.2006 für das Jahr 2004 21.415,50 EUR Einkommensteuer fest. Das war objektiv unstreitig zu gering. Der Kläger hielt die Steuerfestsetzung dennoch für überhöht und mandatierte den beklagten Rechtsanwalt, der Einspruch einlegte. Das Finanzamt teilte dem Beklagten durch Schreiben vom 24.8.2007 mit, dass die Steuerlast tatsächlich mit 30.262 EUR zu beziffern sei. Dieser Betrag ist unstreitig korrekt. Das Finanzamt kündigte an, es werde die bisherige Einkommensteuerfestsetzung berichtigen, und zwar auch im Fall der Einspruchsrücknahme, denn der Umstand, dass der Kläger neben der Abfindung im Jahr 2004 noch laufende Einkünfte bezogen habe, sei eine neue Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 AO. Der Beklagte nahm den Einspruch nicht zurück. Mit Bescheid vom 15.10.2007 setzte das Finanzamt N die Einkommensteuer wie angekündigt auf 30.262 EUR fest. Mit Zinsen, Kirchensteuer und Säumniszuschlägen ergab sich eine Steuerschuld von insgesamt 32.485,37 EUR.
Mit der Regressklage macht der Kläger die Differenz von 21.415,50 EUR zu 32.485,37 EUR geltend. Er hat zuletzt Freistellung von einer Forderung des Finanzamts N gegen ihn i.H.v. 11.069,87 EUR nebst Zinsen verlangt. Die Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg. Das LG hat im Wesentlichen darauf abgestellt, dass durch eine rechtmäßige Steuernachforderung kein Schaden verursacht werde.
Von der Darstellung weiterer tatsächlicher Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO abgesehen.
II. Die Berufung des Klägers ist gem. § 280 Abs. 1 BGB überwiegend begründet.
1. a) Der Beklagte hat seine anwaltlichen Pflichten bereits durch das Einlegen des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid verletzt. Ein steuerliches Beratungsmandat ist auf die Vertretung der Interessen des Mandanten gerichtet (BGH, Urt. v. 15.11.2007 - IX ZR 34/04, DStR 2008, 321, Rz. 10; Zugehör, WM 2010, Sonderbeilage 1, Seite 13, m.w.N.). Daher war es pflichtwidrig, mit dem Einspruch neue Tatsachen vorzutragen, die zu einer höheren Besteuerung des Klägers führen. Der Kläger beanstandet mit Recht, dass dem für ihn zuständigen Finanzamt durch den Einspruch die Möglichkeit eröffnet worden sei, den Ausgangsbescheid zu seinen Ungunsten zu ändern. Der Beklagte meint hingegen zu Unrecht, dass er zur Vermeidung des Vorwurfs der Beihilfe zur Steuerhinterziehung gehalten gewesen sei, dem Finanzamt auch solche tatsächlichen Umstände mitzuteilen, die dem Mandanten nachteilig sind. Zwar muss der steuerliche Berater den Rahmen des gesetzlich Zulässigen wahren. Es ist jedoch gesetzlich zulässig, keinen Einspruch gegen einen Steuerbesche...