Leitsatz (amtlich)

1. Außergewöhnliche Glätteverhältnisse erfordern besonders intensive Streumaßnahmen auch im Hinblick auf die zeitliche Folge. Es ist ausreichend, daß das Streugut die Gefahr des Ausgleitens wenigstens vermindert, auch wenn die abstumpfende Wirkung dann durch weitere Eisbildung abgeschwächt wird.

2. Nach Delegierung der Verkehrssicherungspflicht reduziert sich diese beim ursprünglich allein verantwortlichen Eigentümer auf eine Kontroll- und Überwachungspflicht. Diese ist verletzt, wenn die beauftragte Firma aus räumlichen Gründen in bestimmten Fällen gehindert ist, ihren Streupflichten rechtzeitig nachzukommen und für diesen Fall keine Regelungen vorgesehen sind.

3. Auch bei festem Schuhwerk spricht der Anscheinsbeweis für ein Mitverschulden des Gestürzten von 25%, wenn er die bestehende Glätte erkennt und sich nicht mit äußerster Vorsicht bewegt.

4. 20000 DM [10000 EUR] Schmerzensgeld (bei voller Haftung) für komplizierten Oberschenkelhalsbruch mit mehrfachen Operationen und verbleibender starker Einschränkung der Beweglichkeit eines Hüftgelenks bei 54jähriger Frau.

 

Verfahrensgang

LG Münster (Entscheidung vom 22.04.1998; Aktenzeichen 12 O 573/97)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen - das am 22. April 1998 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.831,49 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 07.01.1998 zu zahlen abzüglich am 02.05.1996 gezahlter 2.000,00 DM.

Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 75 % aller weiteren materiellen Schäden aufgrund des Unfalls vom 18.12.1995 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind, ferner alle weiteren immateriellen Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 25 %.

Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 1/14 und der Beklagte zu 13/14.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer der Parteien: unter 30.000,00 DM.

 

Gründe

I.

Die Parteien streiten um den Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen eines Glatteissturzes der Klägerin am 18.12.95 um 8.30 Uhr auf dem Gehweg vor dem Haus des Beklagten, D-Straße in N.

Die Klägerin erlitt hierbei einen komplizierten Oberschenkelhalsbruch.

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines Wettergutachtens abgewiesen mit der Begründung, wegen der extremen Wetterverhältnisse mit ständig sich erneuernder Glatteisbildung sei ein Streuen nicht erforderlich gewesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die mit näheren Ausführungen die angebliche Nutzlosigkeit von Streumaßnahmen bestreitet und darauf hinweist, daß auch andere Nachbarn bereits erfolgreich gestreut hätten und daß es zur Unfallzeit keine extremen Verhältnisse und keinen anhaltenden Regen mehr gegeben habe.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil mit näheren Ausführungen, hält eine Streupflicht für nicht gegeben, beruft sich auf die wirksame Übertragung der Streupflicht an eine zuverlässige Firma und auf deren wirksame Kontrolle durch einen Hausmeister. Im übrigen wendet er Mitverschulden der Klägerin ein.

Wegen des Vorbringens der Parteien im einzelnen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Senat hat die Klägerin angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C3, X, C2 und C.

Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung und Beweisaufnahme wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 16.11.98 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat im wesentlichen Erfolg.

Der Beklagte ist zum Ersatz der materiellen und immateriellen Schäden nach einer Quote von 75 % verantwortlich; die Klägerin trifft ein Mitverschulden, welches der Senat mit 25 % bewertet hat, §§ 823, 831, 847, 254 BGB.

1. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme besteht kein Zweifel daran, daß die Streupflicht zur Unfallzeit auf dem Gehweg vor dem Haus des Beklagten verletzt worden ist.

Zwar ist richtig, daß bei nachhaltigem Dauerschneefall oder fortdauerndem eisbildendem Regen das (erneute) Streuen unterbleiben kann, wenn es bei Einsatz aller vernünftigerweise in Betracht kommenden Mittel wirkungslos wäre. Der Pflichtige braucht keine zwecklosen Maßnahmen zu ergreifen (vgl. hierzu BGH VersR 93, 1106 ff.; OLG Hamm in OLGR 95, 223 - 6. Senat -, VersR 82, 1081 - 27. Senat -, VersR 84, 645 - 13. Senat -, r+s 97, 285 - 27. Senat -).

Das bedeutet aber nicht, daß der Streupflichtige bei außergewöhnlichen Glätteverhältnissen regelmäßig von der Streupflicht befreit wäre.

Vielmehr erfordern gerade solche Verhältnisse besonders intensive Streumaßnahmen, und zwar auch im Hinblick auf die zeitliche Folge. Es genügt insoweit nach der Rechtsprechung des BGH (VersR 93, 1106), daß das Streugut die Gefahr des Ausgleitens wenigstens vermindert, mag seine abstumpfende Wirkung auch durch weitere Eisbildung abgeschwächt werden (vgl. hierzu auch Senat in OLGR 98, 47; f...

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