Leitsatz (amtlich)

Zum Erfordernis der haftungsbegründenden Kausalität zwischen konkludenter Täuschung und Schaden in Form der Eingehung eines ungewollten subjektiv nachteiligen Vertrages.

Feststellung einer inneren Tatsache (hier: ungewollter Vertragsschluss) im Wege des Indizienbeweises nach dem Maßstab des § 286 ZPO.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 826; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 7 O 163/18)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung der Berufung des Klägers - das am 22.03.2019 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld (7 O 163/18) abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten als Herstellerin Schadensersatz im Zusammenhang mit dem durch Bestellung vom 30.06.2015 erfolgten Erwerb eines mit dem Motor X1 EU5 ausgestatteten und vom sog. "Abgasskandal" betroffenen Gebrauchtwagens ZZ1.

Auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils wird zunächst wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz einschließlich der gestellten Anträge gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Ergänzend hat der Senat folgende Feststellungen getroffen:

Die aktuelle Laufleistung betrug Stand 16.03.2010 insgesamt 110.197 km. Der Hin- und Rückweg des Klägers von seinem Wohnort in C zum Oberlandesgericht Hamm anlässlich des Senatstermins am 17.03.2020 beträgt insgesamt etwa 200 km.

Der Rechtschutzversicherer des Klägers hat die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gezahlt und den Kläger mit Schreiben vom 30.04.2018 ermächtigt, diese im Klageverfahren im eigenen Namen und zur Zahlung an sich geltend zu machen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht Bielefeld die Beklagte verurteilt, an den Kläger 19.698,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.06.2015 Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs ZZ1, Fahrzeugident.-Nr. 123, zu zahlen. Zudem wurde festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorbezeichneten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet. Die Beklagte wurde des Weiteren verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.05.2018 zu zahlen. Es wurde festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle künftigen Schäden, welche ursächlich mit dem Kaufvertrag über das vorgenannte Fahrzeug zusammenhängen, zu ersetzen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dem Kläger stehe ein Schadenersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Die Beklagte habe mit dem Inverkehrbringen des Motors unter Verschweigen der installierten Motorsteuersoftware schädigend im Sinne des § 826 BGB gehandelt. Der Kläger habe einen Schaden erlitten. Der Kaufvertrag stelle eine ungewollte Verbindlichkeit dar. Bei lebensnaher Betrachtung würde kein informierter und wirtschaftlich denkender Mensch ein Fahrzeug mit einer solchen Software erwerben, die unterschiedliche Abgasrückführungsmodi für den Prüfstand und den realen Fahrbetrieb aufweise und deren Zulässigkeit zweifelhaft sei. Der Kläger habe glaubhaft bestätigt, dass er das Fahrzeug in Kenntnis des tatsächlichen Sachverhalts und der damit verbundenen Risiken für den Fortbestand der Betriebserlaubnis nicht erworben hätte.

Die Schädigung sei auch sittenwidrig, weil die Beklagte im eigenen Profitinteresse mit der serienmäßig verbauten Motorsteuersoftware die gesetzlichen Abgaswerte außer Acht gelassen und ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber Aufsichtsbehörden und Verbrauchern geschaffen habe.

Die schädigende Handlung sei der Beklagten gemäß § 31 BGB zuzurechnen. Es sei davon auszugehen, dass die Entwicklung und der Einsatz der Software den Vorstandsmitgliedern der Beklagten bekannt gewesen und entweder von ihnen selbst veranlasst oder zumindest gebilligt und mitgetragen worden seien. Die Darlegungs- und Beweislast trage insofern der Kläger, die jedoch den ihm zumutbaren Vortrag erbracht habe. Die Beklagte habe diesen Vortrag nicht hinreichend substantiiert und nicht ihrer sekundären Darlegungslast entsprechend bestritten. Die gesetzlichen Vertreter hätten auch vorsätzlich und in Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände gehandelt; die Software sei bewusst verschleiert und die entsprechende Täuschung der Verbraucher jedenfalls billigend in Kauf genommen worden.

Der Schadensersatzanspruch sei auf das negative Interesse gerichtet. Der Kläger sei so zu stellen, als sei er den Kaufvertrag nicht eingegangen. Der Kaufpreis sei gegen Übereig...

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