Leitsatz (amtlich)

Zum Erfordernis der haftungsbegründenden Kausalität zwischen konkludenter Täuschung und Schaden in Form der Eingehung eines ungewollten subjektiv nachteiligen Vertrages.

Feststellung einer inneren Tatsache (hier: ungewollter Vertragsschluss) im Wege des Indizienbeweises nach dem Maßstab des § 286 ZPO.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 826; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 9 O 223/18)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin - das am 26.03.2019 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld (9 O 223/18) abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten als Herstellerin Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines mit dem Motor X1 EU5 ausgestatteten und vom sog. "Abgasskandal" betroffenen Neuwagens Pkw ZZ1.

Auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils wird zunächst wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz einschließlich der gestellten Anträge gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Ergänzend hat der Senat folgende Feststellungen getroffen:

Die Klägerin hatte das Fahrzeug mit dem Kaufvertrag vom 18.03.2014 (Brutto-Kaufpreis 35.470,79 Euro) nicht als Privatfahrzeug, sondern als Inhaberin eines - nach dem Renteneintritt ihres Ehemannes von diesem übernommenen - Einzelunternehmens (Großhandel für Baustoffe) für den Betrieb erworben und war insofern vorsteuerabzugsberechtigt.

Nachdem auch die Klägerin Rentnerin geworden war, wurden das Unternehmen aufgelöst und die Firma gelöscht. Der PKW wurde in diesem Zuge durch die Klägerin zum 31.12.2017 dem Betriebsvermögen entnommen. Ausweislich eines DEKRA Gutachtens wurde der Wert des Fahrzeugs zu diesem Zeitpunkt mit 19.500 Euro bemessen.

Die aktuelle Laufleistung betrug zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat 75.099 km (Stand 17.03.2020). Die im Jahr 2014 erworbenen Winterreifen sind noch vorhanden und befinden sich derzeit auf dem Fahrzeug.

Der Rechtschutzversicherer der Klägerin hat die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gezahlt und die Klägerin mit Schreiben vom 28.05.2018 ermächtigt, diese im Klageverfahren im eigenen Namen und zur Zahlung an sich geltend zu machen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht Bielefeld die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 26.211,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.05.2018 Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs ZZ1, Fahrzeugident.-Nr. X123, zu zahlen. Zudem wurde festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorbezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet. Die Beklagte wurde desweiteren verurteilt, die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.05.2018 freizustellen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Klägerin stehe ein Schadenersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Die Beklagte habe mit dem Inverkehrbringen des Motors unter Verschweigen der installierten Motorsteuersoftware schädigend im Sinne des § 826 BGB gehandelt. Die Klägerin habe einen Schaden erlitten. Der Kaufvertrag stelle eine ungewollte Verbindlichkeit dar. Bei lebensnaher Betrachtung würde kein informierter und wirtschaftlich denkender Mensch ein Fahrzeug mit einer solchen Software erwerben, die unterschiedliche Abgasrückführungsmodi für den Prüfstand und den realen Fahrbetrieb aufweise und deren Zulässigkeit zweifelhaft sei. Dies gelte auch für die Klägerin, wie diese in der persönlichen Anhörung glaubhaft bestätigt habe.

Die Schädigung sei auch sittenwidrig, weil die Beklagte im eigenen Profitinteresse mit der Motorsteuersoftware die gesetzlichen Abgaswerte außer Acht gelassen und ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber Aufsichtsbehörden und Verbrauchern geschaffen habe.

Die schädigende Handlung sei der Beklagten gemäß § 31 BGB zuzurechnen. Es sei davon auszugehen, dass die Entwicklung und der Einsatz der Software den Vorstandsmitgliedern der Beklagten bekannt gewesen und entweder von ihnen selbst veranlasst oder zumindest gebilligt und mitgetragen worden seien. Die Darlegungs- und Beweislast trage insofern die Klägerin, die jedoch den ihr zumutbaren Vortrag erbracht habe. Die Beklagte habe diesen Vortrag nicht hinreichend substantiiert und nicht ihrer sekundären Darlegungslast entsprechend bestritten. Die gesetzlichen Vertreter hätten auch vorsätzlich und in Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände gehandelt; ...

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