Leitsatz (amtlich)
›1. Die materielle Rechtsfrage einer Haftung eines deutschen Skiläufers für einen im Ausland (hier: Italien) einem deutschen Staatsbürger zugefügten Schadens ist nach materiellem deutschen Recht zu entscheiden.
2. Die Verhaltens- und Sorgfaltsanforderungen beim Skilaufen richten sich nach den Regeln des internationalen Skiverbandes (FIS-Regeln). Danach ist beim Abfahren das Sichtfahrgebot zu beachten und darf nur so schnell gefahren werden, dass bei Annäherung an andere noch sicher ausgewichen oder notfalls auch angehalten werden kann. Den Regeln der Wartepflicht unterliegt nur derjenige, der sich aus dem Stand in Bewegung setzt, während der in Fahrt befindliche Skiläufer auch bei einer Querbewegung zum Hang den Schutz der FIS-Regel 3 genießt, nach der derjenige, der von oben schneller aufschließt, auf den unterhalb Fahrenden achten und diesem ggf. ausweichen muß.
Die Feststellung eines Schuldvorwurfes gegen den Anfahrenden setzt voraus, dass dieser das Vorrecht wahrnehmbarer, fahrender und in Annäherung befindlicher Skiläufer mißachtet hat.
3. Bei einem Skiunfall scheidet ohne konkrete objektivierbare Anknüpfungspunkte eine sachverständige technische Verlaufsanalyse regelmäßig zur Klärung des Herganges aus.‹
Verfahrensgang
LG Dortmund (Aktenzeichen 12 O 548/99) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt restlichen, insgesamt vollen Ersatz ihres materiellen Schadens und Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für ihren gesamten Schaden aus einem Skiunfall, der sich am 9.4.1992 auf einer Skipiste des Monte Della Neve Livigno in Italien ereignete. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten hat - nach Kürzung bei den Krankenhauskosten - zwei Drittel des geltend gemachten Schadens reguliert. Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz darum, ob die Klägerin sich ein ihre Ansprüche um ein Drittel minderndes Mitverschulden entgegenhalten lassen muss.
Am Unfalltag gegen 15:00 Uhr fuhr die Klägerin als Mitglied einer neben ihr aus ihrem Ehemann, ihrer Tochter und ihrem Neffen bestehenden Skiläufergruppe auf besagter Piste zu Tal. Kurz vor Erreichen der späteren Unfallstelle machte die Gruppe am - talwärts gesehen - linken Pistenrand oberhalb einer Kante, jenseits derer die Piste deutlich steiler als zuvor in eine Mulde führt, eine Pause. Kurz nachdem die Gruppe mit der Klägerin in zweiter Position hinter ihrem Ehemann wieder in die Piste eingefahren war, kam es unterhalb der vorgenannten Pistenkante zwischen dem ebenfalls auf Skiern zu Tal fahrenden Beklagten und der Klägerin zu einer Kollision, bei der diese schwerste Verletzungen davontrug.
Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte sei mit erheblicher Geschwindigkeit in sogenannter "Schuss-Haltung" die Piste heruntergefahren, weil er sich mit dem ihn begleitenden Zeugen S. ein Rennen geliefert habe. Sie selbst sei mit der Gruppe erst schräg abwärts in die Piste eingefahren, nachdem sie sich vergewissert gehabt habe, dass dadurch keine von oben herannahenden Skifahrer gefährdet würden. Der Beklagte hat eine unangemessene Geschwindigkeit bei seiner angeblich "wedelnd" durchgeführten Abfahrt in Abrede gestellt und der Klägerin als Mitverschulden vorgeworfen, entgegen der FIS-Regel Nr. 5 ohne ausreichende Vergewisserung hangaufwärts von der Gefahrlosigkeit in die Piste eingefahren zu sein. Die Sicht aufeinander sei für beide Seiten in gleicher Weise gegeben bzw. nicht gegeben gewesen.
Das Landgericht hat zunächst durch Versäumnisurteil der hauptsächlich auf Zahlung von 148.553,41 DM und Feststellung voller Ersatzpflicht für den aus dem Skiunfall vom 9.4.1992 entstandenen Schaden gerichteten Klage stattgegeben. Auf den Einspruch des Beklagten hat es nach Vernehmung der übrigen Mitglieder der Gruppe, zu der die Klägerin gehörte, sowie des Begleiters S. des Beklagten als Zeugen mit dem angefochtenen Grund- und Teilurteil sein Versäumnisurteil teilweise abändernd den Zahlungsantrag für dem Grund nach gerechtfertigt erklärt und den Feststellungsausspruch präzisierend erneuert. Es hat die Körperverletzung durch den Beklagten als grob fahrlässig bis an die Grenze des bedingten Vorsatzes erachtet, indem der Beklagte in - durch das Zeugnis seines Begleiters S. bewiesener - Schussfahrt in eine für ihn nicht einsehbare Hangmulde eingefahren sei. Demgegenüber sei ein Mitverschulden der Klägerin nicht erwiesen, nachdem die Gruppe, der der Beklagte angehörte, im langsameren und für ihre, der Klägerin, Einfahrt ungefährlichem Wedeltempo die Piste herabgekommen sei, so dass die Klägerin bei ihrem Anfahrentschluss nicht damit habe rechnen müssen, dass sich einzelne Fahrer daraus plötzlich in Schussfahrt überwechselnd lösen würden. Der Vorwurf eines Mitverschuldens aufgrund einer entgegen den FIS-Regeln durchgeführten Querfahrt greife schon deshalb nicht, weil eine solche Fahrt mit den Aussagen der zur Gruppe der Klägerin gehörenden, gleichwohl glaubwürdigen Zeugen auszuschließen sei.
Mit der Berufung verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Er hält an dem Vorw...