Leitsatz (amtlich)
Es bestehen besondere Anforderungen an die Aufklärung bei einer Hüft-TEP, wenn es im Vergleich zu einer normalen Hüftendoproblematik zu vermehrten Beschwerden kommen kann. Der aufklärende Arzt muss in der Lage sein, diese besonderen Risiken zu vermitteln. Verfügt der aufklärende Arzt nicht über den entsprechenden Kenntnisstand, bleibt die Aufklärung defizitär.
Normenkette
BGB §§ 253, 280, 630a, 823
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen 6 O 234/18) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 17. Februar 2021 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,00 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. Mai 2018.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, die Klägerin in Höhe von 2.976,79 EUR von der Gebührenrechnung ihres Prozessbevollmächtigten für dessen außergerichtliche Tätigkeit freizustellen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen materiellen und derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen aus Anlass der Hüft-TEP-Implantation rechts vom 19. Januar 2017 und des Pfannenwechsels rechts vom 24. Mai 2018, sowie solche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, die aus einer heute nicht absehbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin folgen und die auf der streitgegenständlichen Handlung der Beklagten beruhen, zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger und/oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.
Das angefochtene und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht ein Schmerzensgeld sowie Feststellungsansprüche aus einer behaupteten fehlerhaften Behandlung durch den Beklagten zu 1) im Krankenhaus der Beklagten zu 2) und aus Aufklärungsdefiziten in der Zeit vom 12.01.2017 bis zum 07.06.2017 geltend.
Die am ... geborene Klägerin leidet seit ihrer Kindheit an einer Hüftdysplasie. In ihrer Kindheit wurden zwei Umstellungsosteotomien notwendig. Sie litt aufgrund der Grunderkrankung unter einer fortgeschrittenen Hüftgelenksarthrose (Coxathrose). Vor dem hier streitgegenständlichen Eingriff übte sie ihren Beruf als gelernte (...) in Vollzeit aus.
Im Dezember 2014 stellte sich die Klägerin erstmals bei dem Beklagten zu 1) vor, um sich aufgrund von Schmerzen zunächst vorbeugend über die Indikation und die Möglichkeit eines operativen Eingriffs an ihrer Hüfte zu informieren. Der Beklagte zu 1) riet zu einer zementfreien Hüftgelenktotalendoprothese rechts (Hüft-TEP).
Die Beschwerden der Klägerin verschlimmerten sich, sodass sie im Oktober 2016 wieder vorstellig wurde. Es wurde ein erneutes Röntgenbild gefertigt. Der Beklagte zu 1) bejahte die Operationsindikation. Die Klägerin entschied sich dazu, den operativen Eingriff durchzuführen.
Nach stationärer Aufnahme der Klägerin am 18.01.2017 wurde mit ihr ein Aufklärungsgespräch durch den Zeugen Z geführt. Die Details hierzu sind streitig. Der zugehörige und von der Klägerin sowie Z unterschriebene proCompliance-Aufklärungsbogen "Hüftgelenkendoprothese" enthält zahlreiche individualisierte Eintragungen.
Die Operation wurde mithilfe von Röntgenaufnahmen zweidimensional digital geplant.
Am 19.01.2017 wurde die Operation durch den Beklagten zu 1) als Oberarzt in der Klinik der Beklagten zu 2) durchgeführt. Es wurde rechtsseitig eine zementfreie Hüft-TEP gewählt (Pfanne ALLOVIT Größe S/48, Schaftgröße 02, Keramikkopf S). Intraoperativ zeigte sich erwartungsgemäß eine dysplastische Hüftgelenkpfanne rechts. Die Pfannenkomponente konnte nach der entsprechenden Fräsur des Pfannenlagers eingesetzt werden.
Der postoperative stationäre Behandlungsverlauf war unauffällig. Die Wundheilung verlief reizlos und die Röntgenkontrollen zeigten eine regelgerechte Implantatlage. Postoperativ konnte die Klägerin unter physiotherapeutischer Anleitung an Unterarmgehstützen mobilisiert werden. Es wurde eine Beinlängendifferenz zu Ungusten der linken Seite von 1,5 cm diagnostiziert. Es folgte ein entsprechender Ausgleich von 1 cm für das linke Bein. Das rechte Bein durfte sie für 6 bis 8 Wochen nicht voll belasten, um die Einheilung der Prothese nicht zu gefährden. Die Klägerin wurde am 25.01.2017 aus der stationären Behandlung entlassen.
Nachdem das Bein wieder einer Vollbelastung ausgesetzt wurde, stellte sich die Klägerin aufgrund von Schmerzen im Mai 2017 erneut vor. Es zeigte sich eine Pfannendislokation mit Fraktur des Pfannenbodens nach Implantation der Hüf-TEP rechts in nativen Röntgenbildern und in der Computertomographie. Auf...