Leitsatz (amtlich)

Erreicht der HB-Wert bei einer reanimierten Patientin den Bereich von 6 g/dl oder wird dieser Wert unterschritten, entspricht es dem medizinischen Standard, unverzüglich eine Bluttransfusion durchzuführen.

Das Unterlassen einer Bluttransfusion kann als grober Behandlungsfehler zu werten sein, wenn das klinische Gesamtbild der Patientin für eine absolute Indikation spricht. Bei einem hypoxischen Hirnschaden mit linksbetonter Parese nebst Spasmen, Sprach- und Schluckstörungen sowie erheblichen Hirnleistungsstörungen kann ein Schmerzensgeld von 500.000,- EUR angemessen sein.

 

Normenkette

BGB §§ 280, 823, 253

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Urteil vom 14.07.2009; Aktenzeichen 4 O 483/05)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14.7.2009 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Bielefeld abgeändert.

Die Beklagten zu 1), 3) und 4) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 500.000,00 EUR nebst 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 01.12. 2003 zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1), 3) und 4) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche künftigen, derzeit nicht vorhersehbaren, immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr aus der fehlerhaften Behandlung vom 26.03.2002 entstanden sind oder entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2), 5), 6) und 7).

Im Übrigen wenn die Kosten des Rechtsstreits zu 4/7 der Klägerin und zu 3/7 den Beklagten zu 1), 3) und 4) auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten zu 1), 3) und 4) dürfen die Vollstreckung des Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagten zu 2) und 6) durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die am ...1955 geborene Klägerin hat von den Beklagten wegen vermeintlicher ärztlicher Behandlungsfehler in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 500.000,00 EUR für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes und die Feststellung weiter gehender Ersatzpflicht für alle materiellen und künftigen nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden begehrt.

Die Beklagte zu 7) überwies die Klägerin als deren behandelnde Gynäkologin am 21.3.2002 wegen massiver Hypermenorrhoe mit dem Abgang eines Blutgerinnsels stationär in die Krankenanstalten H der Beklagten zu 1). Bei der Einweisung bestand eine ausgeprägte Anämie mit einem Hb-Wert von 7,5 g/dl. Der Beklagte zu 5) ist in dem Krankenhaus der Chefarzt der Anästhesie. Der Beklagte zu 2) ist der Oberarzt der gynäkölogischen Abteilung. Dieser riet der Klägerin zu einer diagnostischen Hysteroskopie mit - je nach Befund - direkt anschließender Hysterektomie und führte ein chirurgisches Aufklärungsgespräch. Der Beklagte zu 6) übernahm die anästhesistische Aufklärung.

Am 26.3.2002 wurde die Klägerin durch den Beklagten zu 2) operiert, der zunächst die Gebärmutterspiegelung durchführte. Der Beklagte zu 3) vertiefte sodann zur Vorbereitung der Gebärmutterentfernung die Narkose. Im Folgenden fielen sodann zwischen 8:35 Uhr und 8:45 Uhr der Blutdruck und die Blutsauerstoffsättigung der Klägerin stark ab. Daraufhin eingeleitete Gegenmaßnahmen hatten zunächst keinen Erfolg. Die Klägerin musste ab 8:45 Uhr reanimiert werden. Nach der Stabilisierung der Kreislaufsituation wurde die Klägerin auf die anästhesiologische Intensivstation des Krankenhauses verlegt. Dort wurde zunächst die Gabe von Erythrozyten unterlassen. Die Hb-Werte bewegten sich bis zur ersten Bluttransfusion ca. 20:00 Uhr zwischen 5,7 g/dl und 6,2 g/dl. Die Klägerin lag zweieinhalb Wochen im Koma. Seither ist sie wegen eines aufgrund Sauerstoffunterversorgung erlittenen Hirnschadens ein Schwerstpflegefall. Sie ist stark körperlich und geistig behindert und dauerhaft auf fremde Hilfe und Pflege angewiesen.

Die Klägerin hat den Beklagten erstinstanzlich eine Reihe von gynäkologischen und anästhesiologischen Behandlungsfehlern vorgeworfen. Darüber hinaus hat sie geltend gemacht, dass sie durch die Beklagten zu 2) und 6) nicht hinreichend aufgeklärt worden sei.

Das LG hat die Klage nach gynäkologischer Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. Dr. U und anästhesiologische Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. Dr. F abgewiesen.

Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin nicht bewiesen habe, dass den Beklagten Behandlungsfehler unterlaufen und diese die Ursache für die Schädigung der Klägerin seien. Vielmehr komme ernsthaft in Betracht, dass die Gesundheitsschäden ...

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