Leitsatz (amtlich)
1. Bei Art. 7 der Medical Device Regulation VO 2017/745 (= MDR) handelt es sich um eine Marktverhaltensregel i. S. v. § 3a UWG (im Anschluss an OLG Frankfurt, Urteil vom 02.12.2021 - 6 U 121/20, GRUR 2022, 581 - Heilerde zur Entgiftung).
2. Das sog. "Strengeprinzip" kommt zum Schutz der Verbraucher nicht nur bei gesundheitsbezogener Werbung für Arzneimittel zur Anwendung, sondern auch, wenn Medizinprodukte, welche nur physikalisch wirken und nicht vom Körper resorbiert werden (hier: eine Wundauflage zur Aufnahme und Bindung von Wundexsudat), mit heilenden Wirkungen beworben werden (im Anschluss an OLG Frankfurt, Urteil vom 02.12.2021 - 6 U 121/20, GRUR 2022, 581 - Heilerde zur Entgiftung).
3. Maßgeblich für die Frage, ob Werbeangaben gesundheitsbezogene Wirkungsangaben enthalten, ist das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten (im Anschluss an BGH, Urteil vom 05.11.2020 - I ZR 204/19, GRUR 2021, 513 - Sinupret).
4. Gehören die Adressaten der Werbeaussage dabei verschiedenen Kreisen (hier: medizinische Fachkreise, aber auch das allgemeine Publikum) an, so reicht die Irreführung in einem dieser Kreise aus (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 11.02.2010 - I ZR 154/08, WRP 2010, 759 - Bundesdruckerei und Urteil vom 02.10.2003 - I ZR 150/01, GRUR 2004, 244 - Marktführerschaft).
Normenkette
EUV 2017/745 Art. 7; UWG § 3 Abs. 1, §§ 3a, 8 Abs. 1, 3 Nr. 1; UWG n.F. § 12 Abs. 1; ZPO §§ 935, 940
Verfahrensgang
LG Dortmund (Aktenzeichen 16 O 66/21) |
Tenor
Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das am 25.11.2021 verkündete Urteil der III. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund (Az. 16 O 66/21) abgeändert:
Die Verfügungsbeklagte wird im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, insgesamt höchstens zwei Jahre, zu vollziehen an ihren jeweiligen Geschäftsführern, zu unterlassen, für ihre Wundauflage "A" mit einem Einsatz bei infizierten Wunden bzw. Infektionen mit den folgenden Aussagen zu werben und/oder werben zu lassen:
1. "Anwendungsbereiche: infizierte Wunden"
und/oder
2. "Wundstadien: Infektion",
wenn dies geschieht wie auf der Internetseite https://www.Internetseite.de/A/, zuletzt abgerufen am 20.10.2021 (Anlage AST 1, Bl. 20 d. erstinstanzlichen eAkte).
Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens beider Instanzen werden der Verfügungsbeklagten auferlegt.
Gründe
I. Die Parteien sind Mitbewerber auf dem Gebiet der Herstellung und des Vertriebs von Medizinprodukten, insbesondere solchen zur Wundversorgung. Im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren streiten sie darum, ob - zwischenzeitlich nicht mehr in der ursprünglichen Form auf der Website der Verfügungsbeklagten abrufbare - Werbeaussagen der Verfügungsbeklagten betreffend ihr Produkt "A", eine Wundauflage, irreführend sind und gegen die medizinprodukterechtlichen Werbevorgaben des Art. 7 der Verordnung (EU) 2017/745 (nachfolgend: MDR) verstoßen.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht den Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird ebenfalls auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Verfügungsklägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlich geltend gemachten Unterlassungsanspruch weiterverfolgt. Sie beanstandet unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen, das Landgericht habe sowohl § 8 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. §§ 3, 5 UWG als auch § 8 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. §§ 3, 3a UWG sowie Art. 7 lit. a) und lit. d) MDR falsch angewendet.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts werde der von der Werbung angesprochene Adressat durch die streitgegenständliche Werbung über die vermeintliche Zweckbestimmung des Produkts "A" getäuscht. Die Verfügungsbeklagte schreibe der Wundauflage Funktionen und Eigenschaften zu, die sie nicht besitze, indem sie als Anwendungsbereich u. a. "infizierte Wunden" und als Wundstadium u. a. "Infektion" angebe. Abgesehen davon, dass diese Indikation nicht Teil der geprüften Zweckbestimmung des Produkts sei, entspreche dies auch nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis. Insbesondere die von der Verfügungsbeklagten irreführend als "klinische Studie" bezeichnete, im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens von der Herstellerin des Originalprodukts, der B, für deren Produkt "C" durchgeführte "klinische Bewertung" stelle keine solche Studie dar und verhalte sich zudem überhaupt nicht zu der in Rede stehenden Indikation. Aus der "klinischen Bewertung" folge vielmehr eindeutig, dass sich dessen im Konformitätsbewertungsverfahren geprüfte Indikation auf die Verwendung auf exsudierenden Wunden beschränke. Der Einsatz des streitgegenständlichen Produkts bei infizierten Wunden entspreche dagege...