Leitsatz (amtlich)
1. Bei dem für die Medizinproduktklasse IIa zulässigen Zertifizierungsverfahren zur Erlangung der CE-Zertifizierung ist nach dem Medizinproduktegesetz und der -richtlinie nicht vorgesehen, dass die Benannte Stelle die Wirksamkeit des Medizinprodukts prüft.
2. Eine CE-Kennzeichnung schließt eine lauterkeitsrechtliche Prüfung von Angaben zur Leistung eines Medizinprodukts, die nicht Gegenstand der Prüfung und Zertifizierungsbescheinigung durch eine Benannte Stelle gewesen sind, nicht aus.
3. Ein Verstoß gegen eine das Marktverhalten regelnde Vorschrift kann ggf. verneint werden, wenn das Marktverhalten durch einen Verwaltungsakt der zuständigen Behörde ausdrücklich erlaubt worden ist und dieser Verwaltungsakt nicht nichtig ist. Die CE-Zertifizierung durch die Benannte Stelle hat aber nicht den Charakter eines Verwaltungsakts, denn die benannten Stellen sind private, nicht beliehene Unternehmen.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 19.08.2021, Az. 25 O 19/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung fallen der Beklagten zur Last.
3. Dieses Urteil und das zu 1. bezeichnete Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich Ziff. I des Tenors des zu 1. bezeichneten Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 75.000 EUR und im Übrigen in Höhe von 110 % des nach dem jeweiligen Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in der oben genannten Höhe und im Übrigen in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen behaupteter Wettbewerbsverletzungen auf Unterlassung von Werbeaussagen in Anspruch.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder gehört. Demnach soll er insbesondere darauf achten, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden. Zu den Mitgliedern gehören 159 Unternehmen der Lebensmittelbranche, davon 123 Hersteller und Vertreiber von Nahrungsergänzungsmitteln und Diätetika. Der Kläger ist nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung in der Lage, seine satzungsgemäßen Aufgaben wahrzunehmen.
Die Beklagte vertreibt in Deutschland verschiedene Gesundheitsprodukte, darunter seit 2016/2017 auch die Hustenmittel "[H1]" (Anlage K5), "[H2]" (Anlage K6) und "[H3]" (Anlage K7). Die Produkte der [H]-Reihe werden ausweislich der auf ihnen angebrachten CE-Kennzeichnung als Medizinprodukte (Klasse IIa) in den Verkehr gebracht und haben das Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 93/42/EG in der jeweils gültigen Fassung durchlaufen. Auf den Schauseiten der Umverpackungen aller drei [H]-Produkte (Anlagen K5 bis K7) sowie den Fläschchen der beiden [H]-Säfte (Anlagen K5 und K6) - jeweils unterhalb der Produktbezeichnung - heißt es durch Großbuchstaben und zentrierte Ausrichtung hervorgehoben:
"TROCKENER UND PRODUKTIVER HUSTEN",
Auf der Seitenlasche der Umverpackungen bzw. der Rückseite der Fläschchen ist u.a. die folgende Angabe angebracht:
"[H] (...) ist für die Behandlung von trockenem und produktivem Husten (...) geeignet."
In den Gebrauchsinformationen der drei [H]-Produkte (Anlagen K8 bis K10) heißt es:
"Hustensäfte gegen trockenen und produktiven Husten" bzw. (bei den Lutschtabletten) "Trockener und produktiver Husten"
"[H] [...] ist für die Behandlung von trockenem und produktivem Husten [...] geeignet"
"(...) bei produktivem Husten fördert es die Befeuchtung und den Abfluss des Schleims"
In der Gebrauchsinformation der Lutschtabletten (Anlage K10) heißt es weiter:
"Für die Behandlung von trockenem und produktivem Husten bietet die [H]-Linie neben den praktischen Lutschtabletten auch einen Hustensaft in zwei Formulierungen"
Im Übrigen werden die [H]-Produkte auch in dem Internetauftritt www.[h].de zur Anwendung bei trockenem und produktivem Husten beworben (Anlage K11). Wörtlich heißt es dort:
"Ein einziges Produkt zur Abhilfe von trockenem und produktivem Husten"
"Dank ihres neuen Therapieansatzes, wirken [H] Hustensäfte sowohl gegen trockenen als auch produktiven Husten"
"Die Formulierung von [H] Erwachsene wurde speziell als Antwort auf alle Hustenarten bei Erwachsenen und Jugendlichen über 12 Jahren entwickelt"
"[H] ist ein sowohl bei trockenem als auch bei produktivem Husten nützliches Produkt, das die Schleimhaut schützt, indem es die Reizung beruhigt und das den Abfluss des Schleims fördert."
Die Beklagte verfügt für die genannten [H]-Produkte über eine CE-Zertifizierung als Medizinprodukte der Klasse IIa. Benannte Stelle i.S.d. der Richtlinie 93/42/EWG ist das Oberste Italienische Gesundheitsinstitut (Istituto Superiore di Sanità).
Der Kläger, der die Angaben zur Wirksamkeit bei produktivem Husten für irreführend hält, mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 10.12.2019 vorgerichtlich ab und forderte diese zu...