Verfahrensgang

LG Siegen (Aktenzeichen 5 O 40/22)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 5. März 2023 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Siegen wird zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten der Berufungsinstanz.

Das angefochtene und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1, 544 ZPO abgesehen.

Wegen des Wortlautes der gestellten Anträge der Beklagten und Berufungskläger wird auf die Anträge aus dem Schriftsatz 27.06.2023 (BI. 153 d.A. II) Bezug genommen, mit denen sie unter Abänderung des Urteils die Abweisung der Klage begehren. Wegen des Wortlautes der gestellten Anträge des Klägers und Berufungsbeklagten wird auf den Antrag aus dem Schriftsatz vom 02.10.2023 (BI. 197 d.A. II) Bezug genommen, mit dem er die Zurückweisung der Berufung beantragt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1) Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus §§ 832 Abs. 1, 253 BGB in Höhe von 4.000 EUR.

a) Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass die Beklagten bei dem streitgegenständlichen Ereignis ihre Aufsichtspflicht verletzt haben.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie danach, was den Eltern in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Dabei kommt es für die Haftung nach § 832 BGB stets darauf an, ob der Aufsichtspflicht nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falls genügt worden. Entscheidend ist also nicht, ob der Erziehungsberechtigte allgemein seiner Aufsichtspflicht genügt hat; entscheidend ist vielmehr, ob dies im konkreten Fall und in Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände geschehen ist (BGH, Urteil vom 24.3.2009 - VI ZR 199/08 NZV 2009, 383, m.w.N.).

Die Intensität der Aufsichtspflicht hängt dabei vom Gefahrenpotenzial ab, insbesondere von der Art der Verkehrswege und der Gewöhnung der Kinder an den Straßenverkehr (BeckOK BGB/Spindler, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 832 Rn. 29 m.w.N.).

Hiernach haben die Beklagten vorliegend ihre Aufsichtspflicht für ihren zu diesem Zeitpunkt erst zwei Jahre und elf Monate alten Sohn verletzt. Sie hatten aufgrund ihres räumlichen Abstandes von mindestens fünf bis neun Metern keine Möglichkeit, unmittelbar auf ihren mit dem Laufrad aktiven Sohn einzuwirken, um andere Verkehrsteilnehmer - insbesondere Radfahrer - des gemeinsamen Geh- und Radweges vor von ihm ausgehenden Gefahren zu schützen. Insofern kann es dahinstehen, ob der Abstand zwischen den Beklagten und ihrem Sohn möglicherweise - wie vom Kläger behauptet - sogar noch größer war.

Wenn die Beklagten als Aufsichtspflichtige schon nicht in der Lage waren, notfalls körperlich eingriffsbereit zu sein, hätten sie jedenfalls dafür sorgen müssen, dass ihr Sohn auf Zuruf ordnungsgemäß anhält. Auch dies war hier nicht der Fall, da die Beklagten - unstreitig - wussten, dass ihr Sohn bei einem "stopp"-Ruf noch eine Lenkbewegung nach links macht. Dies erhöht die Gefahr für vorbeifahrende Radfahrer erheblich, wenn das Kind - wie hier - rechts fährt und Radfahrer - wie Üblich ~ links überholen wollen. Genau diese Gefahr hat sich vorliegend auch realisiert.

Die zur Begründung ihrer abweichenden Ansicht - nach der bereits keine Verletzung der Aufsichtspflicht bestehe - zitierte Rechtsprechung der Kläger ist insofern mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, als dass diese sich vorwiegend auf ältere Kinder und abweichende Verkehrssituationen bezieht.

b) Der Kläger muss sich jedoch ein erhebliches Mitverschulden gemäß § 254 BGB anrechnen lassen. Die vom Landgericht insofern angenommen 50 % sind nicht zu beanstanden.

Denn der Kläger hat die Situation nach eigenen Angaben wahrgenommen, insbesondere auch die fehlende unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit der Beklagten auf ihren Sohn. Zudem hätte er auf einem gemeinsamen Fuß- und Radweg als Fahrradfahrer auf Fußgänger besonders Rücksicht nehmen müssen (§ 41 StVO, Vorschriftszeichen 240). Dies gilt erst Recht bei einem Kleinkind, von dem man nicht weiß, wie es reagiert. Hier hätte der Kläger dafür sorgen müssen, dass eine Gefährdung ausgeschlossen ist (§ 3 Abs. 2a StVO, der auch für Radfahrer gilt, vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 27. Aufl. 2022, StVO § 3 Rn. 50). Darüber hinaus hätte er auf Sicht fahren und in der Lage sein müssen, sein Fahrzeug innerhalb der überschaubaren Strecke anzuhalten, § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO.

c) Das dem Kläg...

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