Entscheidungsstichwort (Thema)

Regressklage des Sozialversicherungsträgers: Bindungswirkung einer Entscheidung über die Verpflichtung des Leistungsträgers zur Leistung

 

Leitsatz (amtlich)

§ 118 SGB X erfasst nur Entscheidungen dazu, dass und in welchem Umfang der Leistungsträger zur Leistung verpflichtet ist. Gemeint ist nicht die Feststellung der Leistungspflicht, sondern die Gewährung bzw. Ablehnung der Leistung durch Verwaltungsakt. Nicht erfasst wird die Entscheidung über eine einzelne Voraussetzung der Leistungspflicht. Dies gilt auch für die zivilrechtliche Frage, ob zwischen der Schädigung und dem geltend gemachten Schaden ein Kausalzusammenhang besteht. Hierfür gilt die Bindungswirkung des § 118 SGB X nicht. (Rn. 45)

 

Normenkette

BGB §§ 842-843; SGB III § 19; SGB X § 12 Abs. 2, § 116 Abs. 1, §§ 116, 118; StVG § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Hagen (Entscheidung vom 31.03.2021; Aktenzeichen 9 O 237/16)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 31. März 2021 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hagen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.992,14 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 3. September 2016 zu zahlen.

2. Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

3. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

4. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht als Sozialversicherungsträgerin aus gemäß § 116 SGB X übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche ihrer versicherten Leistungsempfängerin, der Geschädigten Frau A. K., geboren am 06.12.1993, aus einem Verkehrsunfall vom 25.06.2008 in Menden geltend. Der Verkehrsunfall wurde von der Versicherungsnehmerin der Beklagten schuldhaft verursacht; die volle Haftung der Beklagten ist unstreitig.

Bei dem Verkehrsunfall erlitt die Geschädigte K. eine Platzwunde am Auge, einen Bruch am Augenlid, einen Nasenbeinbruch, eine Fraktur des 5. Lendenwirbels und Prellungen. Infolge des Verkehrsunfalls liegt bei der Geschädigten eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % vor und sie gehört auf Dauer zu dem Personenkreis des § 19 SGB III. Darüber hinaus konnte sie für längere Dauer nicht die städtische Ganztagsschule besuchen. Im Juli 2011 erwarb die Geschädigte K. den Hauptschulabschluss mit unterdurchschnittlichen Noten insbesondere in den Fächern Mathematik und Deutsch (vgl. Zeugnis der Klasse 9 vom 22.07.2011 vorgelegt als Anl. MW1, Bl. 11 ff. d.A.).

Am 25.11.2011 erstellte die Klägerin nach umfänglicher Untersuchung eine sozialmedizinische Beurteilung für die Geschädigte, nach der ihr Berufswunsch Friseurin für sie - insbesondere wegen der dauerhaften Funktionsminderung des 5. Lendenwirbelkörpers mit belastungsabhängigen Rückenschmerzen - nicht leidensgerecht war. Hinsichtlich des Berufswunsches Kosmetikerin sollte nach Beurteilung eine konkrete Belastungsprobe erfolgen. Nach Feststellungen des ärztlichen Dienstes der Klägerin konnte die Geschädigte eine vollschichtige, gelegentlich mittelschwere Tätigkeit ohne lang andauernde oder einseitige Zwangshaltung der Wirbelsäule ausüben. Zur weiteren Darstellung des Inhalts der sozialmedizinischen Beurteilung vom 25.11.2011 wird auf Bl. 17 ff. der Akte verwiesen (= Anlage MW 3).

Anfang des Jahres 2012 beantragte die Geschädigte K. bei der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Diese wurden ihr durch entsprechende, teilweise nachträglich abändernde Bescheide der Klägerin bewilligt. Am Sozialverwaltungsverfahren wurde die Beklagte nicht beteiligt.

Mit Schreiben vom 19.04.2012 meldete die Klägerin gegenüber der Beklagten Schadensersatzansprüche dem Grunde nach an. Daraufhin erklärte die Beklagte ihre Einstandspflicht und gab einen Verjährungsverzicht bis zum 31.12.2017 ab.

In der Zeit vom 13.09.2012 bis zum 05.12.2012 nahm die Geschädigte K. an einer Belastungsprobe in der evangelischen Stiftung V. in W. teil, wo ihre körperliche und intellektuelle Leistungsfähigkeit erprobt wurde. Für die Dauer der Belastungsprobe war die Zeugin K. in dem dieser Stiftung zugehörigen Internat untergebracht.

Nach Abschluss der Belastungsprobe schlug die Stiftung V. eine Aufnahme der Geschädigten K. in die Ausbildung zur Medientechnologin ab Februar 2013 in dem von ihr (= der Stiftung V.) geführten Berufsbildungswerk vor, vgl. dazu Abschlussbericht vom 08.01.2013, Bl. 20 d.A. sowie Beurteilung der Ausbildung Bl. 21 ff. d.A.

Im von der Stiftung V. erstellten rehabilitationsmedizinischen Gutachten wird die Geschädigte K. als geeignet zur Verrichtung leichter bis mittelschwerer Tätigkeiten "in wechselnden Positionen" beurteilt. Danach soll sie auch öffen...

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