Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit eines Prozessvergleichs
Leitsatz (amtlich)
1. Der in einem Anwaltsprozess (und somit: von den Prozessbevollmächtigten) geschlossene Prozessvergleich ist nicht deshalb unwirksam, weil eine Partei bei Abschluss des Vergleichs vorübergehend geschäftsunfähig war. Dieser Umstand begründet auch kein Anfechtungsrecht nach § 119 BGB.
2. Zur Vergleichsgrundlage (§ 779 BGB) und zur Frage der Sittenwidrigkeit bei einem Vergleich über eine private Berufsunfähigkeitsrente.
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 1 O 196/02) |
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit zwischen den Parteien durch den Prozessvergleich vom 9.5.2008 beendet ist.
Der Kläger trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten (jetzt) um die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs und um seine prozessbeendigende Wirkung.
Der Kläger nimmt die Beklagte unter Behauptung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit auf Zahlung eine monatlichen Rente i.H.v. 2.000 DM (= 1.022,58 EUR) sowie auf Beitragsbefreiung aus einer bei der Beklagten genommenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ab Mai 2000 in Anspruch. Dem Versicherungsvertrag liegen die "Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung" (im Folgenden: BB-BUZ, Bl. 212 ff. d.A.) zugrunde. Versichert ist die Zahlung einer Jahresrente i.H.v. 24.000 DM (12.271,01 EUR) für den Fall bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit, sowie Beitragsbefreiung hinsichtlich der Beiträge für die Lebensver-
sicherung (182 DM monatlich, vereinbartes Leistungsende ist in der BUZ der 1.9.2023, in der LV der 1.9.2028, vgl. Bl. 113 d.A.).
Das LG hat - nach Einholung eines neurologischen und eines psychosomatischen/psychiatrischen Gutachtens - die Klage abgewiesen, weil der Kläger den Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht geführt habe.
Hiergegen hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese - unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens - entsprechend begründet. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 9.5.2008 haben die Parteien - nach umfangreicher Anhörung des Klägers insb. zu der von ihm zuletzt ausgeübten Tätigkeit - einen Prozessvergleich (mit Widerrufsvorbehalt für die Beklagte) abgeschlossen, wonach die Beklagte zur Abgeltung der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung 105.000 EUR an den Kläger zahlt (Bl. 799 d.A.). Die Beklagte hat den Vergleich nicht widerrufen und den Vergleichsbetrag an den Kläger gezahlt.
Der Kläger fühlt sich an den Vergleich nicht (mehr) gebunden und begehrt mit Schriftsatz vom 11.6.2008 die Fortsetzung des Rechtsstreits (Bl. 825 d.A.). Hierzu trägt er vor:
Die Erklärung des - auf seine Weisungen hin handelnden - Prozessbevollmächtigten bzw. des Klägers selbst zum Abschluss des Vergleichs werde widerrufen bzw. angefochten. Der Kläger sei zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs partiell geschäftsunfähig gewesen. Er habe Wochen und Monate vor dem Termin beinahe täglich Antidepressiva, Schmerzmittel und Schlafmittel eingenommen. Am Abend vor dem Senatstermin und um 3.00 Uhr nachts (Bl. 833) habe er jeweils eine Tablette des als Antidepressiva bzw. Beruhigungsmittel wirkenden Medikaments Doxepin-neuraxpharm 25 mg zu sich genommen und am 9.5.2008 um 24.00 Uhr und morgens eine Tablette Ibubeta 800 (Wirkstoff Ibuprofen 800). Aus diesem Grunde sei er nicht in der Lage gewesen, der Verhandlung angemessen zu folgen; sein Urteilsvermögen sei eingeschränkt gewesen. Später sei ihm wieder klar geworden, dass er angesichts seiner Erkrankung keine Arbeitstätigkeit mehr ausüben könne und seine geringe Rente nicht ausreichen würde, um dauerhaft seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu sichern. Im Übrigen habe sich sein Prozessbevollmächtigter in einem Irrtum über seine - des Klägers - Geschäftsfähigkeit befunden, so dass ein Anfechtungsrecht nach § 119 BGB gegeben sei.
Er sei auch zum Widerruf des Vergleichs (nach § 779 BGB) berechtigt, da der dem Vergleichsvorschlag des Senats zugrunde liegende Sachverhalt, wonach er eine
50%ige Berufsunfähigkeit nicht bewiesen habe (und auch die Sachverständigen "gegen ihn seien"), unzutreffend sei.
Im Übrigen sei der Vergleich auch sittenwidrig, da dieser unter Ausnutzung seiner Unerfahrenheit und Zwangslage zustande gekommen sei; Leistungen und Gegenleistungen stünden in einem auffälligen Missverhältnis.
Der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass das Verfahren vor dem OLG nicht durch Vergleich beendet worden ist, da dieser unwirksam ist,
2. das Verfahren - mit den bisherige Anträgen - fortzusetzen.
Die Beklagte beantragt, die Anträge des Klägers zurückzuweisen und festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den wirksamen Vergleich vom 9.5.2008 erledigt ist.
Gegen di...