Entscheidungsstichwort (Thema)

Scharfkantige Spurrille von 6,8 cm Tiefe ist abhilfebedürftige Gefahrenstelle

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine scharfkantige in Fahrtrichtung verlaufende Spurrille vor einer Kreuzung mit einer Tiefe von 6,8 cm stellt eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle dar, weil sie für Motorradfahrer eine erhebliche Sturzgefahr begründet.

2. Bei fehlendem Unabwendbarkeitsbeweis (§ 7 Abs. 2 StVG a.F.) muss sich der wegen der Rille gestürzte Motorradfahrer eine Anspruchsminderung von 20 % gefallen lassen.

 

Normenkette

StVG § 7 Abs. 2 a.F.; BGB § 839; StrWG NW §§ 9, 9a; SGB X § 116

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Urteil vom 16.10.2002; Aktenzeichen 21 O 306/01)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten (Fiskus) gegen das am 16.10.2002 verkündete Urteil der 21. Zivilkammer des LG Dortmund wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels - das vorgenannte Urteil abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.704,12 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz von 10.087,90 EUR seit dem 25.1.2001 und aus weiteren 616,22 EUR seit dem 3.5.2002 zu zahlen.

Die weiter gehende Klage bleibt abgewiesen.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges tragen die Klägerin 1/3 und der Beklagte 2/3. Die Kosten des zweiten Rechtszuges werden zu 1/4 der Klägerin, und zu 3/4 dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Am 14.10.2000 gegen 17.00 Uhr kam der bei der Klägerin gesetzlich krankenversicherte Zeuge B. mit seinem Motorrad auf der B. in Fahrtrichtung K. vor der Kreuzung Z./Auffahrt BAB auf einer längs zur Fahrtrichtung verlaufenden ca. sechs Meter langen Spurrille zu Fall und zog sich Verletzungen zu. Die Tiefe der Spurrille und ihre Erkennbarkeit bei der unstreitig vier Tage zuvor durchgeführten Kontrolle sind zwischen den Parteien streitig. In der polizeilichen Unfallaufnahme ist von dem aufnehmenden Beamten vermerkt: "Zustand der Fahrbahn: Auf der U.-Straße in Fahrtrichtung K. vor dem Kreuzungsbereich Z/BAB-Auffahrt befindet sich auf der rechten Geradeausspur eine Spurrille, die parallel zur dortigen Rechtsabbiegerspur verläuft. Diese Spurrille hat auf einer Länge von 6 Meter einen Höhenunterschied bis zu 10 cm."

Die Klägerin behauptet, die Spurrille sei an der Sturzstelle 10 cm tief gewesen und hätte bei der zuvor erfolgten Fahrbahnkontrolle von dem Straßenbegeher auch erkannt werden können. Hingegen habe der mit ca. 40 km/h auf die Kreuzung zufahrende Zeuge B. diese Unebenheit nicht wahrnehmen können. Mit der vorliegenden Klage begehrt sie - aus übergegangenem Recht - Ersatz ihrer unfallbedingten Aufwendungen, die sie mit 15.925,80 EUR beziffert.

Der Beklagte (Fiskus) tritt diesem Begehren entgegen und bestreitet die behauptete Höhe der Spurrille zum Unfallzeitpunkt wie auch ihr Vorliegen und ihre Erkennbarkeit zum Zeitpunkt der vier Tage zuvor erfolgten Straßenkontrolle.

Das LG hat nach Vernehmung von Zeugen der Klägerin 70 % des geforderten Schadenersatzes zugesprochen und die weiter gehende Klage abgewiesen. Es hat eine Tiefe der Spurrille von 10 cm und ein Vorhandensein dieser Unebenheit bereits zum Zeitpunkt der letzten Kontrolle vor dem Sturz als bewiesen angesehen und dies als schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten in Form mangelhafter Kontrolle bewertet. Zugleich hat es einen der Klägerin anzurechnenden Eigenverantwortungsanteil von 30 % wegen der Betriebsgefahr des Motorrades anspruchsmindernd berücksichtigt.

Gegen diese Entscheidung wenden sich beide Parteien mit der Berufung. Der Beklagte verfolgt seinen Klageabweisungantrag weiter und greift die Beweiswürdigung des LG zur Tiefe der Spurrille im Zeitpunkt des Unfalles und zu deren Erkennbarkeit bei der vorangegangenen Kontrolle an. Die Klägerin begehrt weiterhin vollen Schadenersatz und beanstandet das vom LG erkannte Mitverschulden des bei ihr Versicherten.

II. Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet, das Rechtsmittel der Klägerin hat zu einem geringen Teil Erfolg. Die Klägerin kann von dem Beklagten gem. § 839 BGB i.V.m. §§ 9, 9a StrWG NW, Art. 34 GG, § 116 SGB X aus übergegangenem Recht Schadenersatz i.H.v. 10.704,12 EUR verlangen.

1. Der Beklagte hat die für die B. unstreitig ihm obliegende Straßenverkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt und dadurch den Sturz des bei der Klägerin versicherten Zeugen B verursacht.

Die Fahrbahn dieser Straße befand sich zum Zeitpunkt des Sturzes wegen der zu dem Unfall des Zeugen führenden Spurrille in einem objektiv verkehrswidrigen Zustand und stellte in diesem Bereich eine sicherungsbedürftige (abhilfebedürftige) Gefahrenquelle dar. Der in der Berufungsinstanz hinzugezogene Sachverständige Prof. S. hat in seinem unfallanalytischen Gutachten ausgeführt, das Krad sei instabil geworden, als es sechs Meter in der Spurrille gefahren sei, da die scharfkantige gerade Führung dieser Rille der sinusförmigen Fahrweise des Krades entgegengewirkt habe. Daraufhin sei das Krad im weiteren...

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