Leitsatz (amtlich)
Im Allgemeinen begründen geringe Unebenheiten bis zu 2 cm im Belag von Verkehrsflächen für Fußgänger (Gehwegen, Fußgängerzonen usw.) keinen Verstoß gegen die kommunale Verkehrssicherungspflicht. Das gilt indes nicht uneingeschränkt; so etwa nicht im Falle der Neugestaltung eines dem Fußgängerverkehr vorbehaltenen Marktplatzes mit planmäßig auf Teilen des Platzes angelegten unauffälligen ca. 1,7 cm unter dem sonstigen Trittniveau scharfkantig verlegten Entwässerungsrinnen, von denen Fußgänger bei sonst makellosem (neuen Plattenbelag) überrascht werden können.
Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 14.11.2003; Aktenzeichen 8 O 241/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels - das am 14.11.2003 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des LG Dortmund abgeändert.
Die Leistungsanträge werden dem Grunde nach zu 2/3 für gerechtfertigt erklärt.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden aus dem Unfall vom 4.11.2002 auf dem Marktplatz an der R-Straße in E. zu 2/3 zu ersetzen, soweit nicht hinsichtlich materieller Ansprüche Forderungsübergang auf Dritte eingetreten ist oder eintritt.
Die weiter gehende Klage bleibt abgewiesen.
Wegen der Höhe der der Klägerin zustehenden Ansprüche wird der Rechtsstreit an das LG zurückverwiesen; diesem wird die Entscheidung über die Verteilung über die Kosten des Berufungsverfahrens überlassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Am 4.11.2002 gegen 15.18 Uhr blieb die - damals 75 Jahre alte - Klägerin bei dem Versuch, den I. Marktplatz in E. zu überqueren, mit einem Fuß an einer mindestens 1,7 cm hohen Kante der dort angelegten Entwässerungsrinne hängen und kam zu Fall. Dabei zog sie sich mehrfache Frakturen des rechten Oberarmes zu.
Der erst vor kurzem neu gestaltete I Marktplatz ist überwiegend mit grauen quadratischen Platten belegt, die an einigen Stellen durch gleichfalls quadratische beigefarbige Platten sowie durch schmalere grau-schwarze Platten durchzogen werden. In dem Plattenbereich sind in Längs- und Querrichtung des Marktplatzes je eine Entwässerungsrinne derart angelegt, dass eine graufarbige Plattenreihe tiefergelegt ist und die angrenzenden Plattenreihen scharfkantige Überstände aufweisen. Während die an die Entwässerungsrinnen angrenzenden "äußeren" (d.h. zum Rand des Marktplatzes hin gelegenen) Platten dieselbe graue Farbe aufweisen, bestehen die angrenzenden "inneren" Platten aus schmalerem grau-schwarzem Plattenmaterial.
Die Klägerin wirft der Beklagten wegen der scharfkantigen Gestaltung der Entwässerungsrinnen eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor und begehrt mit ihrer Klage Schmerzensgeld und materiellen Schadenersatz sowie die Feststellung einer Haftung der Beklagten für sämtliche weiteren Schäden aus dem Unfall.
Die Beklagte tritt diesem Begehren entgegen und stellt eine Verkehrssicherungspflichtverletzung in Abrede. Ferner lastet sie der Klägerin ein erhebliches Eigenverschulden an, bestreitet den in Rechnung gestellten Haushaltsführungsschaden und hält das begehrte Schmerzensgeld für übersetzt.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Es hat die bauliche Gestaltung des Marktplatzes als beherrschbar für Fußgänger angesehen und eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten verneint.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihre bisherigen Klageanträge in vollem Umfang weiter, wobei sie die vom LG zugrunde gelegten Feststellungen angreift und eine Verkennung der an die Verkehrssicherungspflicht zu stellenden Anforderungen beanstandet.
II. Die zulässige Berufung ist zum überwiegenden Teil begründet.
Die Beklagte haftet der Klägerin für deren Sturz gem. §§ 839, 253 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 9, 9a StrWG NW, Art. 34 GG dem Grunde nach mit einem Verantwortungsanteil von 2/3.
1. Die Beklagte hat den Sturz der Klägerin durch eine Verletzung der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht verschuldet.
a) Der an der Unfallstelle vorhandene scharfkantige Höhenunterschied zwischen der dort verlaufenden Entwässerungsrinne und der angrenzenden grau-schwarzen Plattenreihe stellt eine objektiv verkehrswidrige und damit sicherungsbedürftige ("abhilfebedürftige") Gefahrenquelle dar.
aa) Nach gefestigter Rechtsprechung haben die für die Sicherheit der in ihren Verantwortungsbereich fallenden Verkehrsflächen zuständigen Gebietskörperschaften tunlichst darauf hinzuwirken, dass die Verkehrsteilnehmer in diesen Bereichen nicht zu Schaden kommen. Dabei muss der Sicherungspflichtige allerdings nicht für alle denkbaren, auch entfernten, Möglichkeiten eines Schadeneintritts Vorkehrungen treffen, da eine Sicherung, die jeden Unfall ausschließt, praktisch nicht erreichbar ist. Vielmehr sind Vorsorgemaßnahmen nur dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit einer Rechtsgutverletzung anderer ergibt (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 19.7.1996 - 9 U 108/96, MDR 1996, 1131 = NZV 1997, 43 m.w.N.). Dies ist dann zu bejahe...