Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherung: Wirbelkörperfraktur; Zuschlag für verminderte Kompensationsfähigkeit; Mitwirkung durch Krankheit oder Gebrechen
Leitsatz (amtlich)
1. Zu einem Invaliditätszuschlag nach Wirbelkörperfraktur und Versteifungsoperation (Invalidität hier an sich 10 %) wegen verminderter Kompensationsfähigkeit (von hier weiteren 5 Prozentpunkten).
2. Ein (mitwirkendes) Gebrechen liegt - nach dem maßgeblichen Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers - nur vor, wenn [hier nicht diskutiert: und soweit] der gesundheitliche Zustand der versicherten Person von dem altersentsprechenden Zustand abweicht [siehe dazu jetzt auch BGH, Urt. v. 22.01.2020 - IV ZR 125/18, Rn. 20 f.]. Altersentsprechende Verschleißerscheinungen zählen dazu auch dann nicht, wenn sie erheblich sind. Die Beweislast für das Vorliegen eines Gebrechens liegt beim Versicherer; dies gilt auch für das Überschreiten des altersentsprechenden Zustands. Lassen sich dazu - wie im Streitfall - nach sachverständiger Beratung keine Feststellungen treffen, hat der Versicherer uneingeschränkt zu leisten.
3. Offen bleibt die Frage, wann eine - einerseits - "klinisch stumme" Veränderung (welche nach höchstrichterlicher Rechtsprechung Gebrechen sein kann: BGH, Urt. v. 19.10.2016 - IV ZR 531/14, Rn. 23) - andererseits - "eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulässt" (was nach ständiger Rechtsprechung gerade auch des BGH weitere Voraussetzung für das Vorliegen eines Gebrechens ist: etwa ebd. Rn. 22).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 22. August 2018 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Essen unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab dem 1. April 2020 vierteljährlich im Voraus, fällig jeweils am 1. eines Quartals, eine lebenslange Rente in Höhe von 1.510,43 EUR zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 19.677,31 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus 1.468,71 EUR seit dem 1. Februar 2017 und aus jeweils 1.510,43 EUR seit dem 1. April 2017, 1. Juli 2017, 1. Oktober 2017, 1. Januar 2018, 1. April 2018, 1. Juli 2018, 1. Oktober 2018, 1. Januar 2019, 1. April 2019, 1. Juli 2019, 1. Oktober 2019 und 1. Januar 2020 zu zahlen.
Die Klage wird im Übrigen abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz fallen dem Kläger zu 2/3 und der Beklagten zu 1/3 zur Last, die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz fallen dem Kläger zu 5/6 und der Beklagten zu 1/6 zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger macht Ansprüche aus einer Unfallversicherung geltend.
Der am 00.01.1948 geborene Kläger stürzte am 00.10.2015 beim Bowling. Er behauptet, aufgrund der dabei - unstreitig - erlittenen Wirbelkörperfraktur zu 45 % in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt zu sein.
Das Landgericht hat Sachverständigenbeweis erhoben und eine unfallbedingte Invalidität von 10 % festgestellt und die Beklagte entsprechend zu einer Rentenzahlung von 1.006,95 EUR pro Quartal verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Bezüglich des genauen erstinstanzlichen Vortrages, der Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Landgerichts (Bl. 510 ff. der elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA 510 ff.) verwiesen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er die Verletzung materiellen Rechts sowie Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung rügt und sein erstinstanzliches Klagebegehren - unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens - weiterverfolgt.
Die von der Sachverständigen I vorgenommene und vom Landgericht übernommene Invaliditätsbemessung führe zu Wertungswidersprüchen im Verhältnis zur Gliedertaxe. Zudem habe sich die Sachverständige - und das Landgericht - nicht hinreichend mit der medizinischen Standardliteratur zur privaten Unfallversicherung befasst, wonach mindestens ein Invaliditätsgrad von 25 % anzusetzen sei; auch der Sachverständige G in einem Parallelverfahren habe einen Invaliditätsgrad von 20 % angesetzt. Hinzu kämen erhöhte Beeinträchtigungen durch Schmerzen, so dass insgesamt ein Invaliditätsgrad von 45 % anzusetzen sei.
Der Kläger beantragt, unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils
1. die Beklagte zu verurteilen, ab dem 01.01.2019 an ihn eine vierteljährlich im Voraus fällige lebenslange Rente in Höhe von 4.531,28 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab der jeweiligen Fälligkeit zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückständige Rentenbeträge in Höhe von 48.375,36 EUR n...