Leitsatz (amtlich)

Der Betreiber eines Strukturvertriebs ist Kapitalanlegern wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er die für ihn tätigen Werber dahingehend schult, Risiken der Anlage (hier: "SecuRente") ggü. Anlageinteressenten zu verharmlosen oder gar nicht zur Sprache zu bringen.

 

Normenkette

BGB § 826

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Urteil vom 11.03.2009; Aktenzeichen 21 O 154/06)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin wird das am 11.3.2009 verkündete Urteil der 21. Zivilkammer des LG Dortmund i.d.F. des Berichtigungsbeschlusses vom 25.5.2009 - unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel - teilweise abgeändert und neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.670,26 EUR nebst Zinsen aus 13.260,61 EUR i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.11.2007 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Schaden der Klägerin auf einer vorsätzli-chen unerlaubten Handlung des Beklagten beruht.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin, die sich im Jahre 1999 als atypisch stille Gesellschafterin am sog. "Unternehmenssegment VII" der mittlerweile insolventen J AG (im Folgenden: "J") beteiligte, nimmt den Beklagten, der einen Strukturvertrieb unterhielt, auf vertraglicher und deliktischer Grundlage auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Beklagte betrieb seit 1991 das Einzelunternehmen "G" in I3. Es hatte den Vertrieb von Kapitalanlagen der "J" übernommen. Die "G" bot Kapitalanlegern u.a. eine Beteiligung als atypischer stiller Gesellschafter an der "J" an. Diese gehörte zur sog. "H4".

Der Beklagte legte die Hierarchie der "G" fest und schulte die Vertriebsmitarbeiter der höheren Hierarchiestufen. Zu Schulungszwecken erstellte er gemeinsam mit einem anderen Mitarbeiter, der die Rolle des Kunden übernahm, dialogartige Audiodateien auf Kassette bzw. CD. Ferner fertigte der Beklagte einen schriftlichen Leitfaden für ein Mustergespräch (Anlage K 15). Die Audiodateien geben den Leitfaden wieder. Zu den Schulungsunterlagen gehörte auch ein sog. "Terminierungskatalog" zur Entkräftung von Gegenargumenten der beworbenen Person. Darin heißt es u.a., dass das Unternehmen des Beklagten mit dem Finanzamt "Hand in Hand" zusammenarbeite. Auch der Zeuge P wurde anhand dieser Vorgaben geschult. P bekleidete später die Funktion eines sog. Abteilungsdirektors. Das entsprach der Stufe 6 von 7 Stufen der Unternehmenshierarchie. Er hielt seinerseits Schulungen nachgeordneter Werber ab.

Der Zeuge P, der die Klägerin aus einer früheren Tätigkeit für einen Lebensversicherer kannte, wandte sich vor dem 16.3.1999 telefonisch an die Klägerin und stellte ihr die Geldanlagemöglichkeit bei der "J" vor. Die Klägerin, deren Ehemann, der in erster Instanz vernommene Zeugen H, eine Kapitallebensversicherung der "I" unterhielt, suchte eine Anlage zur Altersvorsorge. Dazu war die Anlage bei der "J" nach eigenen Angaben des Beklagten nicht geeignet.

Am 16.3.1999 suchte P die Klägerin auf. Er benutzte eine Visitenkarte der "G3". P unterbreitete der Klägerin und ihrem Ehemann Berechnungsblätter auf Briefpapier der "G" (K 2). Nach Angaben des Zeugen P führte er das Gespräch nach den Vorgaben des Mustergesprächs. Ebenfalls am 16.3.1999 verfasste der Ehemann ein Kündigungsschreiben an seinen Lebensversicherer (K 30). Der Ehemann der Klägerin löste den Lebensversicherungsvertrag auf, damit die Klägerin das erforderliche Geld für die Anlage bei der "J" aufbringen konnte.

Die Klägerin unterschrieb einen Zeichnungsschein der J AG (K 1). Die Klägerin unterschrieb den Zusatz: "Der 'Emissionsprospekt zur JRente' ... der J AG ist mir ausgehändigt worden". Der Emissionsprospekt lag der Klägerin zu dieser Zeit jedoch nicht vor. Die Klägerin vereinbarte, eine Einmalanlage von 15.750 DM (8.052,85 EUR) zu leisten. Ferner sollte sie zwanzig Jahre - also etwa bis zum Erreichen des Rentenalters der 1953 geborenen Klägerin - monatlich 200 DM zahlen sowie ein Agio von 5 %. Nach dem Zeichnungsschein hätte die Klägerin somit Einlagen i.H.v. 66.150 DM erbringen müssen (33.821,96 EUR).

Später nahm die "J" das Angebot an und übersandte der Klägerin den Emissionsprospekt auf dem Stand vom 8.6.1998 (K 60). Die Klägerin las den Emissionsprospekt ansatzweise.

Am 21.2.2000 meldete der Beklagte die Einzelfirma nachträglich zum 31.12.1998 ab. Am 15.12.2000 gründete er die "G2 AG".

Bis März 2003 entrichtete die Klägerin monatlich 200 DM an die "J". Insgesamt leistete sie 13.206,61 EUR. Im Jahr 2004 mandatierte die Klägerin ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten und beauftragte sie, Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der Anlageberatung bei der "J" zu prüfen. Ihre Prozessbevollmächtigten nahmen durch Schreiben vom 12.12.2004 vorgerichtlich die "G2 GmbH & Co. KG" in Anspruch.

Ihre am 18.4.2006 bei dem LG eingegangene Klage hat ...

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