Leitsatz (amtlich)
Tritt ein Fußgänger zwischen zwei sich in der Geradeausspur befindlichen Fahrzeugen, die sich in einem Rückstau befinden, auf die Fahrbahn und wird er von einem an diesen Fahrzeugen unter Überfahren einer durchgezogenen Linie links vorbeifahrenden Fahrzeug, das weiter vorn in die Linksabbiegespur einfahren möchte erfasst, so rechtfertigt dies mangels eines Verschuldens des Kraftfahrers angesichts des erheblichen Eigenverschulden des Fußgängers eine Haftungsverteilung von 75% zu 25% zu Lasten des Fußgängers.
Normenkette
BGB § 254; StVG § 7 Abs. 1, § 9; StVO § 25
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 2 O 508/14) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 29.11.2016 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.06.2011 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den weiteren derzeit noch nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aus dem Schadensereignis vom 24.02.2011 unter Berücksichtigung einer Haftungsquote der Beklagten von 25 % zu ersetzen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger 25 % des materiellen Schadens aus dem Schadensereignis vom 24.02.2011 zu ersetzen, soweit dieser nicht an Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger, übergegangen ist oder übergeht.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten aus einem Unfall in Anspruch, der sich am 24.02.2011 gegen 11.30 Uhr in der C-Straße in D im Bereich der Kreuzung mit der I-Straße ereignete.
Der Beklagte zu 2) befuhr mit seinem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten und auf den Beklagten zu 3) zugelassenen Pkw die C-Straße in Fahrtrichtung der querenden I-Straße und scherte frühzeitig auf die Linksabbiegerspur aus, um den auf der Geradeausspur befindlichen Rückstau der Fahrzeuge zu passieren. Der Kläger überquerte als Fußgänger die Fahrbahn der C-Straße, wobei er zwischen den vom Zeugen E geführten Lkw und dem vor diesem befindlichen Fahrzeug des Zeugen F durchging, um die Gegenspur der C-Straße zu passieren. Als er hinter dem Lkw hervortrat, wurde er vom Fahrzeug des Beklagten zu 2) erfasst und gegen das Fahrzeug des Zeugen F geschleudert, von wo aus er auf die Fahrbahn stürzte.
Er erlitt ein Politrauma mit Pneumothorax links, eine Lungenkontusion, eine Mehretagenfraktur des Unterschenkels sowie eine Fraktur der 4. Rippe und eine Ulnaschaftfraktur links, befand sich in der Zeit vom 24.02. bis zum 21.03.2011 in stationärer Behandlung und war bis zum 30.05.2012 arbeitsunfähig.
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 2) habe bei unklarer Verkehrslage und mit hoher Geschwindigkeit auf der mittleren Spur befindliche Fahrzeuge überholt, so dass ihn ein hälftiges Mitverschulden an dem Unfall treffe.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verpflichten, an ihn ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, und zu erkennen, dass dieses ab dem 17.06.2011 mit 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz zu verzinsen ist,
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner auch verpflichtet sind, ihnen weiteren derzeit noch nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen,
3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm den materiellen Schaden aus dem Schadensereignis vom 24.11.2011 zu ersetzen, soweit dieser nicht auf Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger, übergegangen ist oder übergeht.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben die Einrede der Verjährung erhoben und behauptet, der Beklagte zu 2) habe gefahrlos an den auf der mittleren Fahrspur wartenden Fahrzeugen vorbeifahren können, da es keinen Gegenverkehr gegeben habe. Die Ampelanlage an der Kreuzung I-Straße sei auf grün umgesprungen, was dazu geführt habe, dass die vor dem genannten Sattelzug wartenden Fahrzeuge angefahren seien. Der Kläger sei für den Beklagten nicht vorhersehbar gerannt und vor dem Sattelzug herkommend auf die vom Beklagten zu 2) genutzte Fahrspur gelaufen. Dies sei so plötzlich geschehen, dass der Beklagte zu 2) ihn vor der Kollision noch gar nicht als Menschen habe erkennen können.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 29.09.2015 mit der Begründung abgewiesen, ein unfallursächliches Verhalten des Beklagten zu 2) sei nicht festzustellen. Auch wenn er beim Ausscheren nach links über eine durchgezogene Linie gefahren sei, habe er nicht mit einem verkehrswidrig hinter einem stehenden LKW plötzlich hervortretenden Fußgänger rechnen müssen. Die durchgezogene Linie schütze allein den Gegenverkehr.
Auf die Berufung des Klägers hat der Senat mit ...