Entscheidungsstichwort (Thema)
Anregung der Übernahme der Vollstreckung im Heimatland. Vollstreckungspraxis im Heimatland
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Ermessensentscheidung, ob ein Ersuchen um Übernahme der Vollstreckung angeregt wird, sind die Interessen des Verurteilten an der sozialen Wiedereingliederung in seinem Heimatland und das (inländische) öffentliche Interesse der Strafrechtspflege gegeneinander abzuwägen. Eine erhebliche Herabsetzung der erkannten Strafe bei Durchführung des Umwandlungsverfahrens kann das öffentliche Interesse der Strafrechtspflege in einer Weise beeinträchtigen kann, dass dies die Interessen des Verurteilten überwiegt und eine Vollstreckung im Heimatland nicht angezeigt ist. Um dies festzustellen, ist aber eine konkrete Befassung mit dem ausländischen Recht, das der dortigen Vollstreckung zu Grunde liegt, und mit der dort maßgeblichen Vollstreckungspraxis erforderlich.
2. Erforderlich und ausreichend ist es, wenn die Vollstreckungsbehörde die Größenordnung der zu erwartenden Herabsetzung der Strafe im Heimatland ermittelt. Dies kann u.a. durch Ermittlung dortiger Strafobergrenzen für vergleichbare Delikte und durch Auswertung bereits durchgeführter vergleichbarer Fälle der Übernahme der Vollstreckung geschehen.
Normenkette
IRG § 71; EGGVG §§ 23 ff.
Tenor
Der Bescheid der Staatsanwaltschaft Krefeld vom 15.12.2011 in der Form der Beschwerdeentscheidung des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf vom 12.03.2012 wird aufgehoben.
Die Staatsanwaltschaft Krefeld wird angewiesen, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen werden bei einem Gegenstandswert von 3.000 Euro der Landeskasse auferlegt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist niederländischer Staatsangehöriger und wurde mit Urteil des Landgerichts Krefeld vom 24.03.2011 wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringer Menge in 27 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. In dem Verfahren war er am 29.04.2009 vorläufig festgenommen worden und befand sich bis zum Tag der Urteilsverkündung in Untersuchungshaft.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 13.07.2012 hat der Verurteilte beantragt, die restliche Freiheitsstrafe aus dem o.g. Urteil in den Niederlanden zu vollstrecken. Dies hat die Staatsanwaltschaft Krefeld mit Bescheid vom 15.12.2011 abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt: § 71 Abs. 1 IRG und Art. 2 Abs. 2 Überst-ÜbK gäben zwar die Möglichkeit, ausländische Behörden um Vollstreckung einer im Inland gegen einen Ausländer verhängten Sanktion zu prüfen. Ein Anspruch darauf bestünde aber nicht. Es seien das Interesse des Verurteilten an der sozialen Eingliederung im Vollstreckungsstaat und das öffentliche Interesse der Strafrechtspflege gegeneinander abzuwägen. Da der Verurteilte sich nicht mehr in Haft befinde, sei davon auszugehen, dass die niederländischen Behörden im Falle des Ersuchens um Übernahme der Strafvollstreckung das Umwandlungsverfahren nach Art. 8 Abs. 1 lit. b EG-Vollstr-Übk anwenden würden. Bei Betäubungsmitteldelikten führe dies erfahrungsgemäß zu einer deutlich niedrigeren Bestrafung, die dem deutschen Strafanspruch nicht mehr gerecht werde. Die gleichmäßige Vollstreckung inländischer Strafen würde dadurch gefährdet. Zwecke der Generalprävention würden beeinträchtigt.
Gegen den Bescheid hat der Verurteilte mit Verteidigerschriftsatz vom 09.02.2012 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung wird ausgeführt, dass in dem Bescheid eine Auseinandersetzung mit den für eine Vollstreckung im Heimatland sprechenden, aus dem Urteil bekannten, Umständen fehle. Der Verurteilte sei Niederländer und habe in den Niederlanden seit seiner Geburt seinen Lebensmittelpunkt. Er habe zwei minderjährige Kinder, die bei der Mutter lebten, zu denen er aber wöchentlichen Kontakt pflege. Er habe sich in seinem Heimatland eine neue Existenz aufgebaut und sich mit seiner Lebensgefährtin eine Wohnung eingerichtet. Er habe Arbeit in seinem alten Beruf als Kraftfahrer gefunden, die er aus dem offenen Vollzug in den Niederlanden heraus behalten könne. Außerdem habe er aufgrund der Anrechnung der Untersuchungshaft auch nur noch rund ein Jahr zu verbüßen, bis eine Abschiebung zur Halbstrafe möglich sei.
Der Beschwerde hat der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf mit Bescheid vom 12.03.2012 nicht abgeholfen. Nach eigener Prüfung und Abwägung kommt er zu dem Ergebnis, dass die Staatsanwaltschaft zu Recht abgelehnt habe, auf ein Ersuchen um Übernahme der weiteren Vollstreckung hinzuwirken. Ergänzend führt er aus, dass eine Abschiebung zum Halbstrafenzeitpunkt derzeit nicht feststehe. Nach Strafantritt des Verurteilten werde die Staatsanwaltschaft ein Ersuchen um Übernahme der Vollstreckung im sog. Fortsetzungsverfahren prüfen. Der Beschwerdebescheid ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Verurteilten am 16.03.2012 zugestellt worden.
Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit dem A...