Leitsatz (amtlich)
Ein Zahnarzt haftet für eine gegen den zahnmedizinischen Standard verstoßende Behandlung eines unter einer CMD (craniomandibuläre Dysfunktion) leidenden Patienten (vorliegend eine vorgezogene zahnmedizinische Frontzahnsanierung vor dem Abschluss einer zuvor notwendigen Schienentherapie) auch dann, wenn der Patient diese Behandlung ausdrücklich wünscht. Ein vom Patienten gewünschtes behandlungsfehlerhaftes Vorgehen muss ein Arzt ablehnen. Auch eine eingehende ärztliche Aufklärung über die möglichen Behandlungsfolgen legitimiert kein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen.
Normenkette
BGB §§ 611, 280, 253 II
Verfahrensgang
LG Bochum (Urteil vom 02.07.2014; Aktenzeichen 6 O 224/11) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 2.7.2014 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Bochum wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden dem Beklagten auferlegt.
Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die am xx. xx. xx geborene Klägerin hat von dem Beklagten wegen vermeintlicher zahnärztlicher Behandlungsfehler in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 25.000,00 Euro für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes, den Ersatz von Haushaltsführungsschäden i.H.v. 17.356,80 Euro, die Rückzahlung des an den Beklagten gezahlten Honorars i.H.v. 3.752,50 Euro und die Feststellung weiter gehender Ersatzpflicht begehrt.
Die Parteien haben insbesondere darüber gestritten, ob der Beklagte eine bestehende CMD (craniomandibuläre Dysfunktion) abweichend von der - nach der Behauptung der Klägerin nachträglich manipulierten - Dokumentation zu spät erkannt habe. Im Streit hat insbesondere gestanden, ob die Behandlung an Stelle der notwendigen Seitenzahnbehandlung fehlerhaft mit der Frontzahnsanierung begonnen worden sei, ferner, ob das Ergebnis der Behandlung unter zahlreichen Mängeln leide, die die Arbeit insgesamt wertlos und erneuerungsbedürftig mache.
Das LG hat die Klagen nach Verwertung des Ergebnisses des selbständigen Beweisverfahrens LG Bochum 6 OH 5/10 sowie durch weitere sachverständige schriftliche und mündliche Begutachtung durch den zahnärztlichen Sachverständigen Dr. H und den psychosomatischen Sachverständigen Prof. Dr. I dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet, zur Rückzahlung des Zahnarzthonorars verurteilt und die Ersatzpflicht für weitere Schäden festgestellt.
Der Beklagte habe zwar ein richtiges Behandlungskonzept geplant, habe sich jedoch davon abbringen lassen, ohne die Klägerin hinreichend auf die Konsequenzen hinzuweisen. Überdies sei die vorliegende CMD-Symptomatik nicht konsequent behandelt worden. Die definitive Eingliederung des Frontzahnersatzes ohne vorherige Herstellung eines therapeutischen Bisses sei als grober Behandlungsfehler zu bewerten. Der Beklagte sei deshalb dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet. Das bezahlte Zahnarzthonorar sei zurückzuerstatten, weil die Leistung des Beklagten völlig unbrauchbar sei. Darüber hinaus sei wegen der Behandlungsfehlerhaftigkeit die weiter gehende Ersatzpflicht festzustellen.
Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der weiterhin die Abweisung der Klage begehrt.
Er macht als Verfahrensfehler geltend, dass die begehrte Schriftsatzfrist zum Ergebnis der Beweisaufnahme nicht gewährt worden sei. Die Ausführungen des Psychotherapeuten Dr. I belegten mangelnde Mitarbeit der Klägerin und deuteten auf ein Verschweigen von psychischen Vorerkrankungen hin, auf die der Gebrauch von Medikamenten gegen psychische Angststörungen hinweise.
In der Sache meint er, es sei das zutreffende Behandlungskonzept ermittelt worden. Im Rahmen eines Konzils am 10.2.2009 durch die Mitarbeiterin Dr. U, den Zahntechnikermeister T und den Beklagten sei festgelegt worden sei, dass zunächst eine Aufbissschienentherapie durchgeführt, dann die Seitenzähne stabilisiert und erst dann die Front restauriert werden sollte. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten jedoch am 17.2.2009 die vorrangige Behandlung des Frontzahnbereichs verlangt. Daraufhin sei der Klägerin erklärt worden, dass zunächst eine vernünftige Bisslage und Bisshöhe wiederhergestellt werden müsse und dies vor der Frontzahnsanierung der letzte Schritt sei. Ansonsten sei der Biss viel zu tief, und es komme weiterhin zur Exartikulation. Gleichwohl habe die Klägerin am 2.3.2009 anlässlich der Einsetzung einer Unterkieferschiene erklärt, dass sie die Schienenbehandlung nicht abwarten wolle und auf der vorrangigen Sanierung des Frontzahnbereichs bestehe. Der Beklagte rügt, dass der Sachverständige bei seinem Verlangen nach einer vorherigen Schienentherapie nicht existente Richtlinien zu Grunde gelegt habe. Er selbst habe dem medizinische Standard entsprechend gehandelt. Der Beklagte meint, dass eine Schienentherapie aber auch deshalb nicht mehr zu fordern gewesen s...