Leitsatz (amtlich)
Zur Bemessung des Schmerzensgeldes nach einem Auffahrunfall, durch den der Geschädigte neben physischen Folgen (HWS Distorsion, Prellungen, Platzwunden) eine später - überwundene - posttraumatische Belastungsstörung erlitten hat und dauerhaft mit einer latend fortbestehenden Belastungsstörung leben muss, die durch eine unfallunabhängig entstandene Depression überlagert wird.
Normenkette
StVG § 7 Abs. 1; StVG § 18 Abs. 1; StVG § 11 S. 2; BGB § 823 Abs. 1, § 253; VVG § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 25.06.2015; Aktenzeichen 4 O 195/10) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 25.06.2015 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Essen unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner über den vom LG zuerkannten Betrag hinaus ein weiteres Schmerzensgeld von 2.000,- EUR nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2009 zu zahlen.
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner über den vom LG zuerkannten Betrag hinaus weiteren Verdienstausfall iHv 2.873,54 EUR nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen, und zwar die Beklagten zu 1) und 2) seit dem 09.06.2010 und die Beklagte zu 3) seit dem 02.07.2009.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die diesem aus Anlass des Unfallgeschehens vom 01.07.2008, gegen 10:36h in C2 auf der BAB 2 in Fahrtrichtung I in Höhe des KM 465,058 noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner über die bisherige Freistellung hinaus vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten iHv 344,98 EUR nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2009 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger erlitt am 01.07.2008 als beim Landschaftsverband Rheinland angestellter Straßenwärter während der Dienstzeit auf dem Standstreifen der BAB 2 in C2 einen Verkehrsunfall, bei dem der von dem Erstbeklagten gesteuerte und bei der Beklagten zu 3) krafthaftpflichtversicherte Tanklastzug des Beklagten zu 2) auf den angehängten Schilderwagen des Lastkraftwagens auffuhr, in dessen Fahrerkabine sich der Kläger aufhielt. Der Lastkraftwagen der Straßenmeisterei drehte sich um 180 Grad und stürzte auf die Fahrerseite. Der Kläger erlitt eine HWS Distorsion, Prellungen des rechten Daumens, eine Gehirnerschütterung, sowie weitere diverse Prellungen und Platzwunden.
Der Kläger wurde in der Zeit vom 01.07.2008 bis zum 03.07.2008 stationär behandelt. Unmittelbar zu dem Unfallgeschehen entwickelte der Kläger Angstzustände, die zeitnah psychotherapeutisch behandelt wurden.
Der Kläger nahm seine Berufstätigkeit zum 29.11.2008 wieder auf, nachdem er zunächst eine ab dem 03.11.2008 einsetzende Wiedereingliederungsmaßnahme mit täglich 4 Stunden abgebrochen hatte. Vorprozessual leistete die Beklagte zu 3) 6.000,- EUR auf das Schmerzensgeld und 504,46 EUR auf Verdienstausfallschäden.
Mit vorliegender Klage verlangt der Kläger Ersatz seines weiteren materiellen und immateriellen Schadens und Feststellung der umfassenden Eintrittspflicht der Beklagten für zukünftige Schäden.
Der Kläger hat behauptet, er leide infolge des Unfalls an zahlreichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen, insbesondere an einer mit Alpträumen und Angstzuständen verbundenen anhaltenden Posttraumatischen Belastungsstörung und einer Depression.
Soweit dies für das Berufungsverfahren noch von Belang ist, hat der Kläger mit der Begründung, er könne aus psychischen Gründen nicht mehr den bis dahin regelmäßig übernommenen Winterdienst und die Unfallrufbereitschaft wahrnehmen, einen Verdienstausfall für die Zeit von Juli 2008 bis Mai 2013 iHv 9.762,13 EUR geltend gemacht. Die erlittenen Verletzungen und die daraus resultierenden psychischen Folgen rechtfertigten ein Schmerzensgeld von mindestens 10.000,- EUR.
Die Beklagten haben bestritten, dass die nach dem 28.11.2008 angefallenen Krankheitstage auf das Unfallgeschehen zurückzuführen seien. Des Weiteren haben sie bestritten, dass der Kläger den Winterdienst und die Unfallrufbereitschaft unfallbedingt nicht mehr habe ausüben können. Das gezahlte Schmerzensgeld von 6.000,- EUR sei ausreichend.
Das LG hat den Kläger gem. § 141 ZPO persönlich angehört und die Zeugin Q vernommen. Es hat sodann zwei schriftliche fachorthopädische Gutachten der Frau Dr. N mit Datum vom 30.05.2011 und 11.08.2014, ein schriftliches neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Dr. V unter dem 30.05.2011 und - wegen zwischenzeitlich erfolgter Pensionierung des Dr. V - ein weiteres schriftliches neurologisch-psychiatrisches Fachgutachten ...