Leitsatz (amtlich)
Den Netzanschlussbetreiber nach Niederspannungsanschlussverordnung (NAV) trifft gegenüber dem Anschlussnehmer die vertragliche Nebenpflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB, den natürlichen Ablauf wild abfließenden Wassers nicht zum Nachteil des Anschlussnehmers zu verstärken oder zu verändern und damit mittelbar dessen Eigentum zu verletzen.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Detmold (Aktenzeichen 04 O 166/19) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.02.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Detmold abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, durch die verhindert wird, dass über das durch das Grundstück der Klägerin in X, Ystraße 0, verlaufende Schutzrohr des Netzanschlusskabels Wasser in Richtung Kellerwand des auf dem Grundstück befindlichen Gebäudes fließt.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz tragen die Beklagte zu 4/7 und die Klägerin zu 3/7.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat mit ihrem Klageantrag zu 1), so wie er in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellt worden ist, Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, durch die verhindert wird, dass über das durch das Grundstück der Klägerin in X, Ystraße 0, verlaufende Schutzrohr des Netzanschlusskabels Wasser in Richtung Kellerwand des auf dem Grundstück befindlichen Gebäudes fließt. Ein solcher Anspruch ergibt sich aus dem zwischen den Parteien bestehenden Netzanschlussverhältnis gemäß § 2 Abs. 1 Niederspannungsanschlussverordnung (NAV) i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB.
1. Nach § 2 Abs. 1 NAV umfasst das Netzanschlussverhältnis den Anschluss der elektrischen Anlage über den Netzanschluss und dessen weiteren Betrieb. Es besteht zwischen dem Anschlussnehmer und dem Netzbetreiber; hier also der Klägerin als Anschlussnehmerin und der Beklagten als Betreiberin des Stromnetzes.
2. Aus diesem Schuldverhältnis folgen gemäß § 241 Abs. 2 BGB Schutzpflichten der Beklagten gegenüber der Klägerin. Nach § 241 Abs. 2 BGB kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Vorliegend hat die Beklagte die sich aus dem Netzanschlussverhältnis ergebende Nebenpflicht, auf das Eigentum der Klägerin Rücksicht zu nehmen, verletzt.
a. Wichtige Nebenpflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB sind die Schutz-, Fürsorge- und Obhutspflichten. Jede Partei hat sich bei der Abwicklung des Schuldverhältnisses so zu verhalten, dass die Rechtsgüter des anderen Teils (Leben, Gesundheit, Eigentum, Vermögen usw.) nicht verletzt werden (vgl. BeckOK BGB/Sutschet, 60. Ed. 1.11.2021, BGB § 241 Rn. 89). Für die Beklagte bedeutet dies, dass sie bei der Herstellung und dem Betrieb des Netzanschlusses das Eigentum der Klägerin zu schützen hat. Die Beklagte gebraucht für die Herstellung ihres Versorgungsnetzes das Eigentum der Klägerin, die das Verlegen von Leitungen gemäß § 12 NAV über ihr Grundstück unentgeltlich zuzulassen hat. Aus dieser Inanspruchnahme des Grundstücks der Klägerin folgt, dass die Beklagte hiervon nur schonend Gebrauch machen und das Eigentum der Klägerin nicht mehr in Anspruch nehmen bzw. beeinträchtigen darf, als es für die Herstellung der Anschlusses erforderlich ist.
b. Hiergegen hat die Beklagte verstoßen, da das Eigentum der Klägerin über das für den Betrieb des Anschlusses erforderliche Maß hinaus beeinträchtigt wird. Das Eigentum der Klägerin wird dadurch verletzt, dass der natürliche Ablauf des Wassers durch das von der Beklagten verlegte Schutzrohr auf ihr Grundstück verstärkt wird bzw. eine solche Verstärkung konkret droht.
aa. Unter einer Eigentumsbeeinträchtigung ist jeder dem Inhalt des Eigentums (§ 903 BGB) widersprechende Zustand zu verstehen. Gelangen ohne den Willen des Eigentümers fremde Gegenstände oder Stoffe auf sein Grundstück oder in dessen Erdreich, beeinträchtigen sie die dem Eigentümer durch § 903 BGB garantierte umfassende Sachherrschaft, zu der es auch gehört, fremde Gegenstände oder Stoffe von dem eigenen Grundstück fernzuhalten. Deshalb sind diese Gegenstände oder Stoffe bis zu ihrer Entfernung allein durch ihre Anwesenheit eine Quelle fortdauernder Eigentumsstörungen (vgl. BGH Urt. v. 4.2.2005 - V ZR 142/04, Rn. 5, juris). Der natürliche Zufluss von Quell- und Niederschlagswasser von einem höhergelegenen Grundstück stellt zwar grundsätzlich keine abwehrbare Immission dar (vgl. Staudinger/Thole (2019) BGB § 1004, Rn. 135; VGH München Urt. v. 15.7.2013 - 4 B 12.77, Rn. 20, beck-online; BGH Urt. v. 12.6.2015 - V ZR 168/14, Rn. 17, beck-online). Eine Beeinträchtigung liegt jedoch vor,...