Entscheidungsstichwort (Thema)

Wesentlichkeit von Geräuschbeeinträchtigungen; Waschanlage einer Tankstelle

 

Leitsatz (amtlich)

Beim Zusammentreffen von Gebieten unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit (hier: allgemeines Wohngebiet und Mischgebiet) ist jede Grundstücksnutzung mit einer speziellen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so dass für die Ermittlung der maßgebenden Grenz- oder Richtwerte gemäß § 906 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 BGB ein Mittelwert gefunden werden muss (vgl. BGH NJW 2001, 3119 [3120]). Das Einhalten oder Unterschreiten von Richtwerten indiziert lediglich die Unwesentlichkeit einer Beeinträchtigung (BGH NJW 2004, 1317 [1318]). Die im Einzelfall zumutbare Geräuschbeeinträchtigung lässt sich nicht mathematisch exakt nach Richtwerten festlegen, sondern muss immer aufgrund einer wertenden Betrachtung aller maßgeblichen Umstände vorgenommen werden. Die Lästigkeit eines Geräuschs hängt nämlich nicht allein von Messwerten, sondern auch von anderen Umständen ab (u.a. Dauer, Intensität, Frequenz, Häufigkeit, Vergleich mit der sonstigen Geräuschkulisse, Vorbelastung der Gegend), für die es auf das Empfinden des Tatrichters ankommt (BGH NJW 2001, 3119 [3120]).

 

Normenkette

BGB § 1004 Abs. 2, § 906 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Arnsberg (Urteil vom 09.04.2013; Aktenzeichen 2 O 341/11)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 9.4.2013 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Arnsberg (Az. 2 O 341/11) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 1, Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 543, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO) A.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch, an der von ihm betriebenen, ca. 80 m Luftlinie vom Grundstück der Klägerin entfernt liegenden Pkw-Waschanlage wegen Lärmbeeinträchtigungen oder wegen Gesundheitsbeeinträchtigungen (Verwendung sog. "Nanotechnologien") eine Toranlage anzubringen und diese während eines Wasch- und Trocknungsvorgangs geschlossen zu halten. Auch steht der Klägerin nicht der hilfsweise geltend gemachte Anspruch zu, etwaige Beeinträchtigungen durch andere geeignete Maßnahmen zu verhindern.

Der allein in Betracht kommende Anspruch gemäß §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB scheitert einerseits daran, dass der von der Waschanlage ausgehende Lärm nicht als wesentlich anzusehen und von der Klägerin damit nach §§ 1004 Abs. 2, 906 Abs. 1 BGB zu dulden ist (dazu unten: I.). Andererseits kann nicht davon ausgegangen werden, dass die von der Klägerin behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen wegen der Verwendung sog. "Nanotechnologien" beim Waschvorgang tatsächlich vorliegen (dazu unten: II.).

I. Geräuschbeeinträchtigungen während des Betriebs der Waschanlage

1. Unstreitig wird das Grundstück der Klägerin während des Betriebs der Waschanlage durch Geräusche beeinträchtigt.

2. Die Klägerin ist jedoch zur Duldung dieser Geräusche verpflichtet, weil sie gemäß §§ 1004 Abs. 2, 906 Abs. 1 BGB als unwesentlich anzusehen sind.

a) Nach § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB können Einwirkungen wie Geräusche nicht verboten werden, wenn diese die Benutzung des betroffenen Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist Beurteilungsmaßstab für die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung das Empfinden eines "verständigen Durchschnittsmenschen" sowie die Frage, was diesem unter Würdigung öffentlicher und privater Belange zumutbar ist (vgl. nur: BGH NJW 2001, 3119 mwN). Die Unwesentlichkeit wird dabei nach § 906 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 BGB in der Regel vermutet, wenn die in Gesetzen, Rechtsverordnungen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften - wie z.B. der TA Lärm - festgelegten Grenz- oder Richtwerte nicht überschritten werden. Beim Zusammentreffen von Gebieten unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit - hier grenzen ein allgemeines Wohngebiet und ein Mischgebiet aneinander - ist jede Grundstücksnutzung mit einer speziellen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so dass für die Ermittlung der maßgebenden Grenz- oder Richtwerte ein Mittelwert gefunden werden muss (vgl. BGH NJW 2001, 3119 [3120]). Dabei indiziert das Einhalten oder Unterschreiten von Richtwerten nur die Unwesentlichkeit einer Beeinträchtigung (BGH NJW 2004, 1317 [1318]). Die im Einzelfall zumutbare Geräuschbeeinträchtigung lässt sich nicht mathematisch exakt nach Richtwerten festlegen, sondern muss immer aufgrund einer wertenden Betrachtung aller maßgeblichen Umstände vorgenommen werden. Die Lästigkeit eines Geräuschs hängt nämlich nicht allein von Messwerten, sondern auch von anderen Umständen ab (u.a. Dauer, Intensität, Frequenz, Häufigkeit, Vergleich mit der sonstigen Geräuschkulisse, Vorbelastung der Gegend), für die es auf das Empfinden des Tatrichters ankommt (BGH NJW 2001, 3119 [3120]). Letztlich bedarf es also immer einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalles.

b) Nach dem Ergebnis des im Parallelrechtsstreit (2 O 140/11 LG Arns...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge