Leitsatz (amtlich)
Ein freier Mitarbeiter einer anwaltlichen Bürogemeinschaft, die sich nach außen als Scheinsozietät darstellt, haftet für vertragliche Pflichtverletzungen persönlich, wenn er den Rechtsschein setzt, anwaltliches Mitglied der (Schein-) Sozietät zu sein und gegen den gesetzten Rechtsschein nicht pflichtgemäß vorgeht.
Verfahrensgang
LG Münster (Entscheidung vom 29.10.2009; Aktenzeichen 12 O 520/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29. Oktober 2009 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Münster - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - teilweise abgeändert.
Die Beklagten bleiben verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 60.205,45 € nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 54.980 € seit dem 21. April 2006, aus weiteren 729,95 € seit dem 15. August 2006 sowie aus weiteren 4.495,50 € seit dem 5. Januar 2007 zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der etwaigen Rückgewähransprüche aus der Leistung der Kaufpreise in Höhe von zusammen 54.980,00 € aufgrund der fünf Kaufverträge zwischen der E GmbH i.G. (Käuferin) und der GbR K und E2 vom 06.08.2004, 14.08.2004 und 18.08.2004 (Bl. 32 - 51 der Gerichtsakten).
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz werden den Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin "E GmbH" (E; fortan: Auffanggesellschaft). Er nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen anwaltlicher Pflichtverletzung in Anspruch. Der Beklagte zu 1 ist nicht als Rechtsanwalt zugelassen. Er ist Rechtsassessor, der sich im Bereich der Unternehmens- und Wirtschaftsberatung betätigt, und nach seinen Angaben freier Mitarbeiter des Beklagten zu 2. Die Beklagten zu 2 und 4 sind Rechtsanwälte. Im Hinblick auf die Beklagte zu 3 ist im Streit, ob sie eine Bürogemeinschaft oder eine Scheinsozietät der beiden beklagten Rechtsanwälte ist.
Die Eheleute K betrieben ein Unternehmen in S, die "… GmbH" (nachfolgend: Alt-GmbH). Geschäftsführerin der Alt-GmbH war - jedenfalls in dem hier interessierenden Zeitraum - Frau K. Gesellschafter waren sie und ihr Ehemann. Das Betriebsgrundstück mietete die Alt-GmbH von der Gesellschaft bürgerlichen Rechts "…" (im Folgenden: GbR). Gesellschafter der GbR waren ebenfalls die Eheleute K. Der Mietvertrag datiert vom 25. September 1998; er war befristet bis zum Ende des Jahres 2000 und erneuerte sich mangels Kündigung innerhalb einer bestimmten Frist (zwölf Monate zum Ende des Mietjahres) um jeweils ein Jahr. Als Monatsmiete waren 3.500 DM netto vereinbart.
Später geriet die Alt-GmbH, die nach Angaben des Beklagten zu 1 im Senatstermin zu viele Arbeitnehmer beschäftigte, in wirtschaftliche Schwierigkeiten, unter anderen entstanden Mietrückstände. Auf Empfehlung von Bekannten nahmen die Eheleute K Anfang Juni 2004 Kontakt zum Beklagten zu 1 auf. Der Beklagte zu 1 schrieb Herrn K am 4. Juni 2004 an. Der Beklagte zu 1 benutzte den Briefbogen der Beklagten zu 3, der wie folgt gestaltet war:
"Anwaltsgemeinschaft
[Vor und Nachname des Beklagten zu 4]
[Vor- und Nachname des Beklagten zu 2]
Rechtsanwälte".
Im Sichtfenster links waren die Namen beider Rechtsanwälte angegeben, im Adressfeld rechts nur der Name des Beklagten zu 2. Der Beklagte zu 1 wusste, dass der Briefkopf häufig Ursache von Missverständnissen war, weil sein Nachname identisch mit dem Vornamen des Beklagten zu 4 ist. In der Sache verlangte der Beklagte zu 4 mit dem vorgenannten Schreiben einen Vorschuss für die Anreise nach S und schrieb u.a.:
"Bei der Erteilung des Mandats durch Sie und Übernahme des Mandats durch uns wird dieser Geldbetrag bei künftigen Honorarabrechnungen berücksichtigt werden."
Am 9. Juni 2004 fand ein erstes Gespräch des Beklagten zu 1 mit den Eheleuten K statt. Er sollte sie und die Alt-GmbH rechtlich beraten. Der Beklagte zu 1 händigte den Eheleuten K vorbereitete formularmäßige Anwaltsvollmachten aus, die unter anderem die Prozessführung betrafen. Auf diesen befand sich nur der Namensstempel des Beklagten zu 2. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 99-101 d.A. Bezug genommen.
Die Beklagten behaupten in diesem Zusammenhang, dass die Eheleute K beim ersten Gespräch gefragt hätten: "Wieso wird die Vollmacht einem Herrn …[Beklagter zu 2] … erteilt, der sitzt hier doch gar nicht?".
Später unterzeichneten Herr und Frau K sowie die Alt-GmbH je eine Anwaltsvollmacht. Ein im Namen der Alt-GmbH verfasstes Schreiben des Herrn K vom 17. Juni 2004 war an die "Anwaltsgemeinschaft Rechtsanwalt … [Nachname des Beklagten zu 1]" gerichtet (Bl. 387 d.A.). Mit Telefaxschreiben vom 2. Juli 2004 an Herrn K verlangte der Beklagte zu 1 erneu...