Verfahrensgang
LG Paderborn (Entscheidung vom 24.10.1996; Aktenzeichen 3 O 212/96) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung des Klägers gegen das am 24. Oktober 1996 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn werden zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz tragen zu 3/11 der Kläger, zu 8/11 die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Gegner vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet. Die Parteien können die Sicherheit durch eine unbedingte und unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Genossenschaftsbank leisten.
Beschwer der Beklagten: über 60.000,00 DM.
Beschwer der Klägerin: unter 60.000,00 DM.
Tatbestand
Der Kläger fordert Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens, den er am 01.08.1994 im Alter von 4 3/4 Jahren bei einem Fenstersturz erlitten hat.
Zusammen mit seiner etwa 2 Jahre älteren Schwester hatte er die im ersten Obergeschoß eines Nachbarhauses gelegene Wohnung der Beklagten aufgesucht, um mit deren 4jährigen Sohn ... zu spielen. Die Beklagte bereitete in der Küche das Essen vor; die Kinder spielten im Flur und in ... Kinderzimmer. Die Fensterbank des Kinderzimmers ist 71 cm hoch und innen 25 cm und außen 41 cm breit; das Fenster stand 20-30 cm weit offen. Der Kläger kletterte auf die Fensterbank, um Nachbarkindern zuzuwinken. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte 3,60 m tief auf ein Verbundsteinpflaster hinab. Dabei erlitt er lebensgefährliche Kopfverletzungen, die schwere Seh- und Hörstörungen zur Folge hatten.
Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht der Klage bis auf einen Teil der Zinsen antragsgemäß stattgegeben; es hat dem Kläger 100.000,00 DM als Schmerzensgeld und 17.651,30 DM als Ersatz materiellen Schadens (jeweils nebst Zinsen) zuerkannt und die Feststellung getroffen, daß die Beklagte ihm vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall zu ersetzen habe.
Dagegen haben die Beklagte Berufung und der Kläger Anschlußberufung eingelegt.
Die Beklagte erstrebt die Abweisung der Klage. Sie macht geltend, das Landgericht habe die an die Aufsichtspflicht zu stellenden Anforderungen überspannt. Die Kinder hätten lediglich im Flur, nicht aber im Kinderzimmer gespielt, das für 3 Kinder ohnehin zu eng gewesen sei. Sie habe nicht damit zu rechnen brauchen, daß der Kläger im Kinderzimmer auf das Fensterbrett klettern und von dort hinabstürzen werde, zumal vor dem wegen der Hitze leicht geöffneten Fensterflügel schwere Gardinen gehangen hätten.
Sie hält das zuerkannte Schmerzensgeld für weit übersetzt, bestreitet den Umfang der vom Kläger behaupteten Dauerschäden und ist der Auffassung, die geltend gemachten Besuchskosten stünden dem Kläger nicht zu.
Die Beklagte beantragt,
1. unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen und
2. die Anschlußberufung zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
1. in Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von DM 50.000 nebst 4 % Zinsen seit dem 13.08.1996 zu zahlen, allerdings unter Ausschluß einer möglichen und derzeit noch nicht endgültig absehbaren Erblindung des rechten Auges;
2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm allen weiteren materiellen und immateriellen Zukunftsschaden aus dem Unfallgeschehen vom 01.08.1994 vorbehaltlich eines Forderungsüberganges zu ersetzen;
3. die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil bezüglich des Anspruchsgrundes und vertritt die Auffassung, ihm stehe ein Schmerzensgeld von insgesamt 150.000,00 DM zu, da er nicht nur eine schwere Sehstörung und einen vollständigen Gehörverlust auf der rechten Seite erlitten habe, sondern auch eine geistige Leistungsminderung, die ihn im schulischen Bereich und in Zukunft auch in beruflicher Hinsicht zum Außenseiter machen werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Sachvortrags wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat die Akten der Strafsache 8 Cs 43 Js 495/94 (68/95) StA Paderborn/AG Höxter ausgewertet. Er hat die Mutter des Klägers und die Beklagte gem. §141 ZPO angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die darüber im Einverständnis der Parteien gefertigten Berichterstattervermerke vom 26.05.1997 und vom 29.10.1998 Bezug genommen. Er hat ferner Beweis erhoben durch Einholung zweier medizinischer Gutachten, auf deren Inhalt gleichfalls Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsmittel beider Parteien sind nicht begründet.
1. Die Beklagte ist dem Kläger gem. §§823, 827 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie es in vorwerfbarer Weise zugelassen hat, daß er unbeobachtet in dem Kinderzimmer ihres Sohnes Benedikt gespielt hat, ...