Leitsatz (amtlich)
Auch im Rahmen einer Sicherungsaufklärung kann es geboten sein, dass der Arzt, der sich für eine Verlaufskontrolle des Befundes entscheidet, den Patienten auf die Alternative einer aus medizinischer Sicht ebenfalls in Betracht kommenden sofortigen interventionellen Abklärung hinweist, falls beide Vorgehensweisen sich hinsichtlich ihrer Risiken oder Chancen erheblich unterscheiden. Ein solcher Fall ist im Falle eines Befundes nach BI-RADS III gegeben, da die alternativ zu einer kurzfristigen Verlaufskontrolle in Betracht kommende Stanzbiopsie als invasive Diagnostik zwar einerseits als invasiver Eingriff mit einer höheren unmittelbaren Belastung der Patientin verbunden ist, andererseits aber zuverlässiger als eine erneute Verlaufskontrolle das verbleibende - aus ex ante-Sicht: geringe - Malignitätsrisiko ausschließen kann.
Eine Verletzung dieser Aufklärungspflicht begründet jedoch nicht zugleich deswegen einen Befunderhebungsfehler, weil der Patient sich im Falle einer Aufklärung für die ihm nicht mitgeteilte alternative Vorgehensweise zur Kontrolle des Befundes entschieden hätte. Im Vordergrund steht vielmehr die defizitäre Sicherungsaufklärung, das Unterbleiben einer weiteren Befunderhebung ist erst Konsequenz dieses primären Fehlers.
Normenkette
BGB §§ 611, 280, 823
Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 27.02.2014; Aktenzeichen 4 O 234/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 27.2.2014 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Dortmund abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schmerzensgeld, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Ersatz ihrer vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten aus einer gynäkologischen Behandlung im Zeitraum November 2007 bis September 2009 in Anspruch.
Die Klägerin ertastete im November 2007 einen Knoten in ihrer rechten Brust und suchte daraufhin am 13.11.2007 erstmals die Beklagte, eine Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, auf. Diese führte eine Tast- und Ultraschalluntersuchung durch und gelangte zu der Diagnose eines Adenoms mit perimenstruellen Beschwerden. Weitere Untersuchungen am 28.4.2008 - nur palpatorisch - und 10.6.2008 - Tast- und Ultraschalluntersuchung - ergaben in der Folgezeit jeweils einen unveränderten Befund.
Am 20.11.2008 stellte sich die Klägerin erneut bei der Beklagten vor, nachdem sie selbst eine Größenzunahme des Knotens ertastet hatte und dieser ihr auch mehr Be-schwerden bereitete. Die palpatorische und sonografische Untersuchung durch die Beklagte bestätigte die Größenzunahme. Die Beklagte stufte den Befund in der Ultraschall-Klassifikation analog BI-RADS als BI-RADS III ein und stellte die Diagnose eines Verdachts auf ein Fibroadenom. Sie verschrieb der Klägerin Progestogel gegen die Schmerzen. Auf die Möglichkeit einer sofortigen weiteren Abklärung des Befundes mittels einer Biopsie wies die Beklagte die Klägerin nicht hin. Streitig ist zwischen den Parteien, ob sie der Klägerin eine erneute Befundkontrolle binnen eines Zeitraums von höchstens sechs Monaten empfahl.
Die Klägerin suchte die Praxis der Beklagten danach zunächst wieder am 20.7.2009 auf, ohne dass es jedoch - aus Gründen, die zwischen den Parteien streitig sind - zu einer Untersuchung kam. Am 3.9.2009 überwies die Beklagte die Klägerin nach Untersuchung der Brust zur Mammographie, die am 7.9.2009 durchgeführt wurde. Seitens der Radiologen wurde der mammographische Befund als BI-RADS I (unauffällig) bewertet, wegen der deutlichen Tastbarkeit und der Wachstumstendenz aber dennoch eine stanzbioptische Abklärung angeraten. Die Beklagte überwies die Klägerin zum Brustzentrum des St. K Hospitals E. Die dort am 16.9.2009 durchgeführte Jet-Biopsie ergab den Befund eines "high grade Carcinoma in situ mit Verdacht auf einen Übergang in ein invasives Carcinom". Anschließend erfolgte im Rahmen eines stationären Aufenthaltes ab dem 21.9.2009 eine offene Mamma-Probeexzision rechts mit Sentinel-LNE. Hierbei wurde ein ductales Carinoma in situ sowie ein Übergang in ein maximal gut 6 mm messendes, gut differenziertes, ductal-invasives Carcinom festgestellt sowie zusätzlich ein zweiter knapp 2 mm messender invasiver Tumorherd und eine 2 mm messende Karzinommetastase im Sentinel-Lymphknoten.
Ab dem 16.10.2009 erfolgte zunächst eine Behandlung mit einer neoadjuvanten Chemotherapie, die zu einer erheblichen Verkleinerung des Tumors führte. Am 13.4.2010 erfolgte eine Mastektomie rechts mit Resektion der Mamille und Sofortrekonstruktion der Brust sowie eine Axilladissektion, am 18.5.2010 eine operative Nachresektion mit erneuter ...