Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahnarzthaftung: Aufklärung über Risiken einer chronischen Pulpitis bei Anbringung von Veneers; Schmerzensgeld

 

Leitsatz (amtlich)

Vor der Behandlung mit dem Einsatz sog. Veneers (Keramikverblendschalen im Frontzahnbereich) hat der behandelnde Zahnarzt über das mit den notwendigen Einschleifmaßnahmen verbundene Risiko einer chronischen Pulpitis jedenfalls dann aufzuklären, wenn die Behandlung nicht nur aus medizinischen, sondern auch aus kosmetischen Gründen erfolgt.(Rz. 27)

Für die mit der entstandenen Pulpitis einhergehenden Beschwerden und Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung mehrfacher schmerzhafter Abszessbildungen und einer dauerhaften thermischen Empfindlichkeit der behandelten Frontzähne kann ein Schmerzensgeld i.H.v. 8.000 EUR angemessen sein.(Rz. 30)

 

Normenkette

BGB § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 22.09.2010; Aktenzeichen 1 O 89/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.9.2010 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Essen abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.177,12 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.5.2010 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen weite-ren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Behandlung durch den Beklagten bezüglich der Präparation ihrer vier Schneidezähne 12, 11, 21 und 22, beginnend mit dem 10.3.2008, zukünftig noch entstehen wird.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die am 8.6.1951 geborene Klägerin macht Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten aufgrund fehlerhafter Behandlung und Aufklärung im Zusammenhang mit dem Einsatz sog. Veneers an den Oberkieferfrontzähnen geltend. Die Klägerin hat erstinstanzlich vom Beklagten ein Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 8.000 EUR und die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung des Beklagten für alle weiteren immateriellen Schäden, die ihr durch die Behandlung entstanden sind, begehrt. Ferner hat sie bezifferte Kosten i.H.v. 177,12 EUR für zahnärztliche Nachbehandlung und Einholung eines Privatgutachtens geltend gemacht.

Die Klägerin hat behauptet, vor Aufbringen der Veneers seien die Frontzähne behandlungsfehlerhaft zu weit abgeschliffen worden. Bei den dann aufgebrachten Keramikschalen handele es sich schon definitionsgemäß nicht mehr um Veneers, sondern bereits um Teilkronen. Zulässig sei nur ein Abtrag von 0,3 bis 0,5 mm der Zahnhartsubstanz. Es sei fehlerhaft, über die Tiefe des Zahnschmelzes hinaus bis in das Zahnbein (Dentin) präpariert worden, was für das Aufbringen von Veneers zu viel gewesen sei.

Der Beklagte habe die Klägerin nicht ordnungsgemäß über die Risiken der Behandlung mit Veneers, die die Klägerin als kosmetische Behandlung bezeichnet hat, aufgeklärt, und zwar insbesondere nicht über die Schädigung des Zahnmarks (Pulpa) sowie eine dauerhafte, teils hochgradige thermische Empfindlichkeit und Abszedierung. Ferner habe sie der Beklagte nicht über den Verlauf der Behandlung, insbesondere die Abschleifmaßnahmen sowie über Behandlungsalternativen aufgeklärt.

Folgen der mangels ordnungsgemäßer Aufklärung rechtswidrigen und zudem fehlerhaften Behandlung seien am 3.5.2009 und 23.6.2010 aufgetretene Abszesse sowie eine chronische Pulpitis. Hiermit verbunden seien Spannungs- und Kontaktschmerzen der vier behandelten Frontzähne, die Reaktion auf thermische Reize, Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme, ab dem 14.4.2008 besonders starke Schmerzen an Zahn 12 vom Kiefer bis in das Ohr, eine teilweise Entstellung sowie eine Verschiebung der Zähne 11 und 12 mit der Folge einer Lückenbildung zwischen diesen Zähnen. Es seien weitere Behandlungen erforderlich, wobei die Erhaltungsfähigkeit der Zähne zweifelhaft sei.

Der Beklagte ist dem Haftungsbegehren dem Grund und der Höhe nach entgegen getreten. Er hat behauptet, dass die Zähne nicht zu weit abgeschliffen worden seien. Zunächst auftretende Okklusionsprobleme seien der Behandlung immanent und ließen nicht auf einen Fehler schließen.

Die Aufklärung sei ordnungsgemäß am 11.2.2008 erfolgt. Hierbei sei die Klägerin über die Alternative von Kunststofffüllungen aufgeklärt worden. Ferner habe der Beklagte anhand von Wax-Up-OP-Modellen über die Notwendigkeit von Einschleifmaßnahmen aufgeklärt sowie das damit verbundene Risiko einer übersensiblen Reaktion der betroffenen Zähne, Verletzungen umliegender Strukturen sowie einer späteren entzündlichen Reaktion. Über die konkrete Präparationstiefe sei nicht aufzuklären gewesen.

Der Beklagte hat bestritten, dass der Klägerin durch seine Behandlung ein Schaden entstanden sei. Er hat insbesondere die von ihr behaupteten starken Schmerzen, anhaltende Kontaktprobleme, Verschieben der Zähne 11 und 12 und Notwendigkeit weiterer Behandlungen bestritten.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 22.9.2010 hat das LG nach Anhörung der Parteien, Vernehmung der Zah...

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