Entscheidungsstichwort (Thema)
Selbständiges Beweisverfahren in der privaten Unfallversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Im Selbständigen Beweisverfahren obliegt die Beschreibung des Beweisthemas - anders als im Hauptverfahren - dem Antragsteller. Sollen in der Unfallversicherung Gesundheitsstörungen und Funktionsbeeinträchtigungen des Versicherungsnehmers durch ein ärztliches Gutachten geklärt werden, ist das Gericht für den Beweisbeschluss in der Regel an die vom Antragsteller formulierten Fragen bzw. Behauptungen gebunden.
2. Der Antragsteller kann im Selbständigen Beweisverfahren verbindliche Vorgaben für die Beurteilung der Invalidität durch den ärztlichen Sachverständigen formulieren. (Hier: "An die Prognose sind keine hohen Anforderungen zu stellen, denn eine ärztliche Prognose beinhaltet stets eine gewisse Unsicherheit und Vermutung.")
3. Ob und inwieweit die in den Versicherungsbedingungen vereinbarte Gliedertaxe einem Gutachten zur Invalidität des Versicherungsnehmers zu Grunde gelegt werden soll, kann der Antragsteller bei der Konkretisierung des Beweisthemas gemäß § 487 Ziff. 2 ZPO bestimmen.
4. Das Gericht hat in der Regel nicht zu prüfen, ob der Antragsteller bei der Formulierung der Beweisfragen die rechtlichen Voraussetzungen seines möglichen Hauptsacheanspruchs zutreffend berücksichtigt hat. Ein rechtliches Interesse im Sinne von § 485 Abs. 2 ZPO liegt schon dann vor, wenn die rechtliche Erheblichkeit des Beweisthemas zumindest nicht von vornherein gänzlich ausgeschlossen ist.
Normenkette
ZPO § 485 Abs. 2, § 487 Ziff. 2
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Beschluss vom 19.08.2016; Aktenzeichen 14 OH 12/16) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des LG Freiburg vom 19.08.2016 - 14 OH 12/16 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I. Im Wege des selbständigen Beweisverfahrens soll auf Antrag des Antragstellers Beweis erhoben werden durch Einholung eines schriftlichen unfallchirurgischen/orthopädischen Gutachtens zu folgenden Behauptungen und Fragen:
1. Der Antragsteller habe durch einen Unfall vom 16.03.2012 - Sturz von einer Leiter - folgende gesundheitlichen Einschränkungen erlitten, die zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit (Invalidität) geführt hätten:
- Bewegungseinschränkungen des linken Armes, insbesondere Dreh- und Flexions-Extensionsbewegungen
- Kraftdefizite der linken Hand
- Bewegungseinschränkungen, Bewegungsschmerzen der linken Hüfte und verminderte Belastbarkeit
- Dauerschmerzen der linken Hüfte
- Gelenksfehlstellungen, insbesondere Zehen- und Fersenstand
- Sklerosierung, Verkürzung und posttraumatische Arthrose der linken Hüfte
- Muskelschwund aufgrund der Verletzungen der linken Hüfte
- Sensibilitätsstörungen.
2. Sollte die Begutachtung eine Invalidität des Antragstellers ergeben, so soll sich der Sachverständige zu dem Umfang der oben in Ziff. 1 genannten Funktionsbeeinträchtigungen äußern.
Insbesondere auch zu folgenden Behauptungen soll sich der Sachverständige äußern:
a) Nach der Behauptung des Antragstellers sei das linke Bein zu mindestens 65 % in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt, der linke Arm zu mindestens 30 %.
b) Die Antragsgegnerin behauptet unter Bezugnahme auf das Gutachten von Prof. Dr. S. vom 11.02.2014 (Anlage ASt. 1), der linke Arm sei lediglich zu 1/5 funktionsunfähig, das linke Bein lediglich zu 1/4.
Hierbei hat der Sachverständige eine Einstufung des Invaliditätsgrades anhand der Gliedertaxe (nach Ziff. 2.1.2 der vorliegenden AUB 09.11) vorzunehmen, soweit die Gliedertaxe hierfür anwendbar ist.
3. a) Der Sachverständige soll sich auch damit auseinandersetzen, ob eine Vorinvalidität vorliegt. Gegebenenfalls ist auszuführen, in welchem Umfang die Funktionsfähigkeit der betroffenen Körperteile schon vor dem Unfall beeinträchtigt war.
b) Sollten Krankheiten oder Gebrechen bei durch das Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigungen oder deren Folgen mitgewirkt haben, soll der Sachverständige den prozentualen Anteil der Krankheit oder des Gebrechens ermitteln.
4. Bei seiner Beurteilung soll der Sachverständige zugrunde legen, dass eine Beeinträchtigung dauerhaft ist, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre nach dem Unfallereignis besteht und eine Änderung des Zustandes nicht erwartet werden kann. Maßgeblicher Zeitpunkt für die vorzunehmende Prognoseentscheidung ist der 17.09.2013, der Sachverständige soll in seinem Gutachten mithin eine Prognoseentscheidung über die dauerhaften Beeinträchtigungen abgeben, wie sie sich voraussichtlich am 17.09.2013 ergeben hätte.
Anmerkung für den Sachverständigen:
Die Beurteilung des Dauerzustandes kann der Sache nach lediglich eine von dem ärztlichen Wissensstand zur Zeit der Beurteilung und der Erfahrung des Arztes getragene Prognose sein. An die Prognose sind keine hohen Anforderungen zu stellen, denn eine ärztliche Prognose beinhaltet stets eine gewisse Unsicherheit und Vermutung.
5. Invalidität für nicht in der Gliedertaxe genannte Körperfunktionen?: Besteht daneben oder ...