Entscheidungsstichwort (Thema)
Anzeigepflicht in der Krankenversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Verdachtsdiagnose Morbus Crohn 3 ½ Jahre vor Antragstellung ist grundsätzlich ein anzeigepflichtiger Gefahrumstand i.S.v. § 19 Abs. 1 VVG. Das gilt auch dann, wenn die Gesundheitsfragen im Antragsformular sich nur auf "die letzten 3 Jahre" beziehen; denn bei Morbus Crohn handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die auch dann weiter vorhanden ist, wenn der Versicherungsnehmer seit mehr als drei Jahren ohne Beschwerden lebt.
2. Eine Anzeigepflicht setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer zum Zeit-punkt seiner Vertragserklärung weiß, dass in der Vergangenheit die Ver-dachtsdiagnose Morbus Crohn gestellt wurde, und dass der Verdacht nicht ausgeräumt wurde. Die Beweislast für diese Kenntnis obliegt dem Versicherer.
3. Hat der behandelnde Arzt dem Versicherungsnehmer vor 3 ½ Jahren die Ver-dachtsdiagnose Morbus Crohn mitgeteilt, so ergibt sich daraus - für sich allein - noch nicht zwingend eine Kenntnis des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt der späteren Vertragserklärung. Es ist eine Beweiswürdigung auf Grund der Umstände des Einzelfalls erforderlich. Bei einer einmaligen Behandlung in der Vergangenheit und anschließend langer Beschwerdefreiheit kann es plausibel sein, dass der Versicherungsnehmer die Bedeutung der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn nicht verstanden oder - unbewusst - verdrängt hat.
Normenkette
VVG § 19
Verfahrensgang
LG Waldshut-Tiengen (Urteil vom 09.01.2014; Aktenzeichen 1 O 331/12) |
Tenor
Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Waldshut-Tiengen vom 9.1.2014 gem. § 522 Abs. 2 ZPO. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.
Gründe
I. Im April 2008 schloss der Kläger für die Zeit ab Mai 2008 bei der Beklagten eine private Krankenversicherung ab. Es handelte sich um eine Krankheitskostenversicherung für ambulante und stationäre ärztliche Behandlung. Der monatliche Beitrag betrug 185,37 EUR. Der vereinbarte Selbstbehalt betrug 750 EUR pro Jahr.
Der Kläger hatte den Abschluss der Versicherung über einen Versicherungsmakler beantragt. Im Antragsformular gab es verschiedene Gesundheitsfragen, u.a. wurde unter Ziff. 2. a des Formulars danach gefragt, ob "in den letzten 3 Jahren oder derzeit Krankheiten, Beschwerden, Unfallfolgen, Fehler körperlicher oder geistiger Art (auch wenn sie nicht behandelt wurden)" bestanden. Zu dieser Frage hatte der Kläger lediglich auf Hämorrhoiden-Knoten und zwei fehlende Zähne hingewiesen. Weitere Erkrankungen hatte der Kläger bei Antragstellung im April 2008 nicht angegeben.
Im Februar 2009 litt der Kläger unter Magen-Darm-Beschwerden. Am 20.2.2009 wurde er in das Spital W. eingeliefert, wo er noch am selben Tag notfallmäßig operiert wurde. Dabei wurde die chronische Darmerkrankung Morbus Crohn festgestellt. Die Rechnung des Spitals W. reichte der Kläger im Hinblick auf die bestehende Krankenversicherung bei der Beklagten ein. Mit Schreiben vom 4.5.2009 (Anlage K5) lehnte die Beklagte Leistungen ab. Gleichzeitig erklärte sie den Rücktritt vom Versicherungsvertrag und hilfsweise eine Kündigung des Vertrages. Der Kläger leide bereits seit 2004 unter Morbus Crohn. Bei dem Versicherungsantrag vom April 2008 habe er pflichtwidrig die chronische Erkrankung nicht angegeben. Wäre die Beklagte über die schwerwiegende Krankheit unterrichtet worden, hätte sie den Antrag des Klägers nicht angenommen.
Mit seiner Klage vom 21.12.2012 hat der Kläger Leistungen aus der Krankenversicherung verlangt, nämlich die Erstattung seiner Aufwendungen für die stationäre Behandlung im Jahr 2009 im Spital W.. Außerdem hat er die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtlichen aufgrund der Rücktrittserklärung vom 4.5.2009 entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Beklagte sei weder zum Rücktritt noch zur Kündigung berechtigt gewesen. Der Kläger habe bei Abschluss der Krankenversicherung im April 2008 keine Anzeigepflichten verletzt. Dass er unter Morbus Crohn leide, habe er erst im Spital W. im Jahr 2009 erfahren. Zwar habe sich im Nachhinein herausgestellt, dass bereits im Jahr 2004 bestimmte Darm-Beschwerden durch Morbus Crohn verursacht worden seien. Von einer Diagnose Morbus Crohn habe er jedoch - auch im Sinne einer Verdachtsdiagnose - keine Kenntnis gehabt. Da er zwischen 2004 und 2009 beschwerdefrei gewesen sei, habe es für ihn auch keine Anhaltspunkte für eine chronische Erkrankung gegeben.
Das LG hat die Beklagte mit Urteil vom 9.1.2014 antragsgemäß zur Zahlung von 9.123 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.6.2009 verurteilt. Außerdem hat das LG festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger den ihm aufgrund der Rücktrittserklärung vom 4.5.2009 entstandenen Schaden zu ersetzen. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme lasse sich nicht feststellen, dass der Kläger bei Abschluss des Versicherungsvertrages im April 2008 Kenntnis von ...