Leitsatz (amtlich)
Allein, dass der Versicherer bei Kenntnis der nach § 16 Abs. 1 S. 1 und 2 VVG a.F. offenbarungspflichtigen Umstände vor Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung weitergehende Nachforschungen angestellt hätte, steht einer Widerlegung der aus § 16 Abs. 1 S. 3 VVG a.F. folgenden Gefahrerheblichkeitsvermutung durch den Versicherungsnehmer noch nicht entgegen.
Verfahrensgang
LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 16.11.2010; Aktenzeichen 4 O 672/09) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 16.11.2010 verkündete Urteil des LG Dessau-Roßlau, Az.: 4 O 672/09, abgeändert und festgestellt, dass die zwischen den Parteien seit dem 1.6.2004 bestehende Berufsunfähigkeits-Versicherung, Versicherungsschein-Nr.:..., durch den Rücktritt der Beklagten vom 31.7.2007 nicht aufgelöst worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen bis zum Vertragsablauf am 1.6.2013 fortbesteht.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der zwischen den Parteien über eine Berufsunfähigkeitsversicherung geschlossene Versicherungsvertrag nicht durch einen von der Beklagten erklärten Rücktritt beendet wurde, sondern unverändert fortbesteht.
Der am 19.2.1953 geborene Kläger hat am 6.5.2004 bei der Beklagten über deren Vermittler O. S. einen Antrag auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung gestellt. In dem Antragsformular (Bl. 27 AB) findet sich zur Frage 5 nach Gesundheitsbeschwerden und ärztlichen Behandlungen der letzten fünf Jahre folgende Eintragung:
Bewegungseinschränkung rechte Hand wegen Unfall 1996.
Zur Frage 6, ob körperliche Behinderungen oder chronische Erkrankungen bestehen, ist eingetragen worden:
Bewegungseinschränkung rechte Hand, Hausarzt Frau Dr. J.,...
Die Beklagte nahm diesen Antrag mit einer Ausschlussklausel für die am 9.1.1996 an der rechten Hand erlittenen Unfallfolgen an und übersandte dem Kläger einen entsprechenden Versicherungsschein, welcher die Versicherungsdauer und die im Falle einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit vereinbarten Leistungen, nämlich die Befreiung von laufenden Prämien und eine jährliche Rentenzahlung über 18.000,- EUR, bis zum 1.6.2013 begrenzt.
Im November 2006 meldete der Kläger wegen eines Knalltraumas mit Tinnitus dritten Grades Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bei der Beklagten an, welche daraufhin verschiedene Arztauskünfte zur Prüfung ihrer Leistungspflicht einholte. Mit Schreiben vom 31.7.2007 erklärte sie dem Kläger den Rücktritt vom Vertrag und verwies hierbei auf eine bei Antragstellung nicht offengelegte ärztliche Behandlung aus dem Jahre 1994 wegen retropatellarer Chondropathie beidseits mit Meniskusläsion rechts medial und eine weitere im März 2000 stattgefundene Behandlung wegen eines degenerativen HWS-Syndroms mit Tabletten, Massagen und Fango (Bl. 3 AB).
Eine Leistungspflicht wegen der Tinnituserkrankung erkannte sie hingegen mit anschließendem Schreiben vom 6.11.2007 (Bl. 18, 19 AB) an und zahlt seitdem die für den Leistungsfall vereinbarte Rente und hat den Kläger von laufenden Versicherungsprämien freigestellt.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei nicht wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten. Er habe, so trägt er vor, keine Krankheitsumstände verschwiegen, sondern vielmehr auf die vom Vermittler S. gestellten Fragen zutreffend geantwortet. Dieser habe ihn lediglich nach ernsthaften Erkrankungen der letzten fünf Jahre gefragt. Die von den befragten Ärzten angegebenen Diagnosen seien ihm zudem nicht mitgeteilt worden und deshalb unbekannt gewesen.
Des Weiteren hat er vorgetragen, die Beschwerden wegen der bei einem Arbeitsunfall im Jahre 1994 erlittenen Knieverletzung seien nach wenigen Tagen wieder abgeklungen, ohne dass es danach einer weiteren Behandlung bedurft hätte. Die Diagnose eines degenerativen HWS-Syndroms habe seine Hausärztin ihm nicht mitgeteilt. Er sei insoweit lediglich von Muskelverspannungen ausgegangen und sei, ohne weitere Behandlungen zu benötigen, bereits nach einer der verschriebenen sechs Fangopackungen wieder beschwerdefrei gewesen.
Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Versicherungsvertrag vom 7.6.2004, Versicherungsschein-Nr.: ..., durch den Rücktritt der Beklagten vom 31.7.2007 nicht aufgelöst worden ist und zu unveränderten Bedingungen bis zum Vertragsablauf fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, ihr Vermittler O. S. habe dem Kläger die Antragsfragen ohne Einschränkungen, wie in dem Formular vorgesehen, gestellt. Der Kläger habe diese jedoch unrichtig bzw. unvollständig beantwortet. Insbesondere habe er eine ärztliche Behandlung am 16.3.2000 bei seiner Hausärztin wegen eines HWS-Syndroms, welches bereits im Februar 1994 behandlungsbedürftig gewesen sei, nicht angegeben. Außerdem habe er die Frage 6 zu chronischen Erkrankungen nicht vollständig beantwortet, da er eine retropatellare Chondropathie beids...