Leitsatz (amtlich)

1. Für eine Wechselbezüglichkeit von Verfügungen im Sinne des § 2270 BGB kann der Wortlaut eines Testaments sprechen, wenn in der Urkunde die Rede von dem "gesamten Vermögen" der Ehegatten ist, das von ihnen ohne eine Unterscheidung nach unterschiedlichen Eigentumsverhältnissen verteilt wird. Dies lässt nach § 133 BGB den Rückschluss zu, dass die Ehegatten zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments nach jahrzehntelanger Ehe nicht von getrennten Vermögensmassen ausgegangen sind, sondern die aufgeführten Gegenstände als gemeinsames Vermögen angesehen haben.

2. Es gibt den Erfahrungssatz, dass ein Ehegatte bei der gegenseitigen Erbeinsetzung seine Kinder beim Tod als Erstversterbender nur enterbt, weil er darauf vertraut, dass das gemeinsame Vermögen der Ehegatten beim Tod des Überlebenden auf die gemeinsamen Kinder übergehen wird.

3. Leistete die Ehefrau des Erblassers ihren Beitrag zum gemeinsamen Unterhalt durch die Haushaltsführung sowie die Erziehung und Betreuung der drei gemeinsamen Kinder, kann bei der Frage, ob ein erhebliches Vermögensgefälle vorliegt, nicht mit Erfolg argumentiert werden, das Familieneinkommen (und damit das Vermögen) rühre weit überwiegend von dem allein erwerbstätigen Erblasser her.

 

Verfahrensgang

AG Lörrach (Aktenzeichen 23 VI 273/22)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Lörrach vom 22.09.2022, Az. 23 VI 273/22, wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligte Ziffer 1 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Geschäftswert wird auf 946.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Feststellung, dass seitens des Amtsgerichts die Tatsachen für festgestellt erachtet werden, wonach die Beteiligte Ziffer 1, der Beteiligte Ziffer 3 und der Beteiligte Ziffer 4 den Erblasser als Miterben zu je 1/3 beerbt haben.

Die Beteiligten Ziffer 1, Ziffer 3 und Ziffer 4 sind die einzigen Abkömmlinge des Erblassers und seiner Ehefrau, die am xx.xx.2004 vorverstorben ist.

Unter dem 05.11.2000 errichteten der Erblasser und seine Ehefrau in einer Urkunde ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament, in dem es heißt:

"Sollte Vati S geb. ... oder Mutti S geb. ... zuerst sterben, so geht das gesamte Vermögen an den Überlebenden!

Die Kinder, S geb. ... G geb. ... H geb. ... sind erst nach dem Tode beider Eltern erbberechtigt.

S soll die Wohnung S...str. bekommen.

G und H, das Haus D..str. 19 und das Grundstück am T...!

Das Geld von der Bank ist für Grabpflege Beerdigungskosten (Stein usw. zu verwenden.

Den Rest des Geldes soll G und H für die Kinder verwenden."

Das am 16.09.2004 vom Notariat Lörrach auf Ableben der Ehefrau und am 19.01.2022 vom Nachlassgericht eröffnete Testament, auf das verwiesen wird (Verwahrakte des Amtsgerichts - Verwahrgericht - Lörrach, 23 IV 433/22, AS 65), ist von beiden Eheleuten unterschrieben.

Am 10.08.2013 errichtete der Erblasser ein weiteres handschriftliches Testament, in dem es unter anderem heißt:

"Ich S, geboren am ..., habe mit meiner verstorbenen Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Durch diese letztwillige Verfügung von Todes wegen bin ich nicht beschränkt..."

In diesem Testament ordnete der Erblasser unter anderem eine Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten Ziffer 2 zum Testamentsvollstrecker. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Testament vom 10.08.2013 Bezug genommen (Verwahrakte des Amtsgerichts - Verwahrgericht - Lörrach, 23 IV 433/22, AS 69 ff.).

Unter dem 17.07.2020 errichtete der Erblasser schließlich ein drittes Testament, in dem der Erblasser ausführte, in seiner Testierfähigkeit nicht beschränkt zu sein. In diesem Testament setzte er die Beteiligte Ziffer 1, die ihn zuletzt aufopferungsvoll gepflegt und versorgt habe, als Alleinerbin ein. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Testament vom 17.07.2020 verwiesen (Verwahrakte des Amtsgerichts - Verwahrgericht - Lörrach, 23 IV 433/22, AS 67).

Am 10.03.2022 hat der Beteiligte Ziffer 4 zur Niederschrift beim Amtsgericht Lörrach, auf die verwiesen wird (AS I 9 ff.), unter anderem erklärt, es gelte das gemeinsame Testament der Eltern. Die einseitige Testierung des Vaters, die er noch kurz vor seinem Tod verfasst habe, sei nicht gültig, da sein Vater durch das gemeinsame Testament gebunden gewesen sei. Der Beteiligte Ziffer 4 hat einen Erbschein mit dem Inhalt beantragt, wonach der Verstorbene von der Beteiligten Ziffer 1, dem Beteiligten Ziffer 3 und ihm zu je 1/3 beerbt worden sei.

Die Beteiligte Ziffer 1 ist dem Antrag entgegengetreten. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, eine Wechselbezüglichkeit der testamentarischen Verfügung der Eheleute liege jedenfalls in Bezug auf den Erblasser nicht vor. Ein starkes Indiz gegen eine wechselbezügliche Schlusserbeneinsetzung stelle eine erhebliche Abweichung der Vermögensverhältnisse der Ehegatten dar. Vorliegend stamme das weit überwiegende und im gemeinschaftlichen Testament erwähnte Vermögen vom Erblasser. Der ...

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