Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Frage, ob es sich bei einem in drei getrennten Urkunden errichteten Testament um ein gemeinschaftliches Ehegattentestament handelt, sind lebzeitige Äußerungen des Letztverstorbenen von besonderem Gewicht. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese Äußerungen zeitlich im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Tod des Erstversterbenden gemacht werden, etwa - wie hier - bei Testamentseröffnung.

2. Der Wortlaut "im Falle unseres gemeinsamen Todes" bedarf der Auslegung. Dieser Wortlaut steht nicht grundsätzlich einer Auslegung entgegen, wonach eine Schlusserbeneinsetzung auch für den Fall eines Versterbens in größerem zeitlichem Abstand erfolgen sollte. Maßgeblich ist der anhand der Auslegung zu ermittelnde (gemeinschaftliche) Wille der Erblasser.

 

Verfahrensgang

AG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 914 VI 2082/21)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerden der Beteiligten Ziffer 2 und Ziffer 3 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Freiburg im Breisgau vom 27.07.2022, Az. 914 VI 2082/21, aufgehoben.

2. Die zur Erteilung des Erbscheins gemäß Antrag der Beteiligten Ziffer 1 vom 11.08.2021 erforderlichen Tatsachen werden nicht für festgestellt erachtet.

3. Von der Erhebung der Kosten wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

4. Der Gegenstandswert wird auf 198.625 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die am ... geborene, verwitwete Erblasserin ist am xx.xx.2021 verstorben. Ihr Ehemann, P R, ist am xx.xx.2016 vorverstorben. Die Beteiligten Ziffer 1 bis Ziffer 3 sind die gemeinsamen Kinder der verstorbenen Ehegatten.

Am 02.08.1984 errichtete R ein handschriftliches Testament mit folgendem Inhalt:

"Mein letzter Wille.

Im Falle meines Todes bestimme ich meine Frau, G R, geb. O, zum alleinigen Erben."

Am selben Tag und am selben Ort errichtete die Erblasserin ebenfalls ein handschriftliches Testament mit folgendem Inhalt:

"Mein letzter Wille.

Im Falle meines Todes bestimme ich meinen Mann, P R, zum alleinigen Erben."

Ebenfalls am 02.08.1984 errichteten beide Ehegatten gemeinsam ein Testament, in dem es heißt:

"Unser letzter Wille.

Im Falle unseres gemeinsamen Todes bestimmen wir unsere 3 Kinder F, S, L zu gemeinsamen Erben bis auf meinen Schmuck, den meine Tochter S erbt. G, P"

Auf die jeweiligen Urkunden wird Bezug genommen (AS I 13 ff; Verwahrakte des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Freiburg im Breisgau 914 IV 909/21 AS 6 f; 93).

Mit notariellem Testament vom 12.01.2021, auf das verwiesen wird (Verwahrakte 914 IV 909/21 AS 27 ff), setzte die Erblasserin die Beteiligte Ziffer 1 zu 65 % und die Beteiligten Ziffer 2 und Ziffer 3 zu je 17,5 % Erbteilen ein.

Mit Schriftsatz vom 09.07.2021, auf den verwiesen wird (AS I 1 ff), haben die Beteiligten Ziffer 2 und Ziffer 3 gegenüber dem Amtsgericht - Nachlassgericht - Freiburg im Breisgau die Anfechtung des Testaments der Erblasserin vom 12.01.2021 erklärt. Begründet wird diese mit einem behaupteten Irrtum der Erblasserin über eine Bindungswirkung durch die wechselbezüglichen Verfügungen vom 02.08.1984.

Unter dem 11.08.2021 hat die Beteiligte Ziffer 1 die Erteilung eines Erbscheins auf Grundlage der Erbteile aus dem Testament vom 12.01.2021 beantragt. Auf den Schriftsatz wird verwiesen (AS I 37 ff).

Mit Beschluss vom 27.07.2022 hat das Amtsgericht - Nachlassgericht - Freiburg im Breisgau die zur Erteilung des Erbscheins gemäß Antrag der Beteiligten Ziffer 1 vom 11.08.2021 erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen (AS I 257 ff).

Gegen diesen den Beteiligten Ziffer 2 und Ziffer 3 am 08.08.2022 zugestellten Beschluss richten sich die Beschwerden der beiden Beteiligten vom 08.09.2022, die am selben Tag beim Amtsgericht eingegangen sind (AS I 297). Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, das Amtsgericht sei zu Unrecht von keinem gemeinschaftlichen Testament mit wechselbezüglichen Verfügungen und daraus resultierender Bindungswirkung ausgegangen. Außerdem habe es unterlassen, notwendige Beweise hinsichtlich der behaupteten Testierunfähigkeit der Erblasserin am 12.01.2021 zu erheben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift (AS 298 ff) verwiesen.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 27.07.2022, auf den Bezug genommen wird (AS I 321), nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II. Die zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht gemäß §§ 58, 59, 63 Abs. 1, 64 FamFG eingelegten Beschwerden der Beteiligten Ziffer 2 und Ziffer 3 sind begründet.

Das notarielle Testament der Erblasserin vom 12.01.2021 ist unwirksam, da die Erblasserin aufgrund der durch den Tod ihres Ehemannes eingetretenen Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments vom 02.08.1984 nach § 2271 Abs. 2 BGB an einem Widerruf gehindert war.

Die testamentarischen Verfügungen vom 02.08.1984 stellen ein gemeinschaftliches Testament der Ehegatten im Sinne des § 2265 BGB dar (1.). Aus der gemeinschaftlichen Verfügung vo...

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