Leitsatz (amtlich)
1. Erhalten mehrere Personen - jede für sich - gleichrangige Generalvollmacht (Solidarvollmacht), so ist mangels abweichender Bestimmungen des Vollmachtgebers keiner der Bevollmächtigten befugt, die Vollmacht des anderen zu widerrufen.
2. Dies gilt grundsätzlich auch für den Fall, dass der Vollmachtgeber mangels Geschäftsfähigkeit nicht mehr in der Lage ist, selbst über den Widerruf der Vollmacht zu befinden. In einem solchen Fall ist für diesen erforderlichenfalls ein Vollmachtsüberwachungsbetreuer (§ 1896 Abs. 3 BGB) zu bestellen.
3a. Ein bevollmächtigter Vertreter einer nicht prozessfähigen Partei steht einem gesetzlichen Vertreter i.S.v. § 51 Abs. 3 ZPO nur gleich, wenn die zugrunde liegende Vollmacht den Wirkungskreis umfasst, auf den sich der Prozess bezieht.
3b. Das ist nicht der Fall, wenn der Vertreter unbefugt (s.o.) für den prozessunfähigen Kläger/Vollmachtgeber die Vollmacht des anderen Bevollmächtigten widerruft und im Anschluss hieran Klage auf Herausgabe der Vollmacht erhoben wird.
4. Vor Abweisung der Klage als unzulässig ist ggf. der Rechtsstreit auszusetzen, bis das Betreuungsgericht über die Bestellung eines (Kontroll-)Betreuers für den Vollmachtgeber/Kläger entschieden hat.
Normenkette
BGB §§ 168, 1896 Abs. 3; ZPO § 51 Abs. 3; FamFG § 22a
Verfahrensgang
Tenor
1. Dem AG - Betreuungsgericht - Mannheim wird gem. § 22a Abs. 1 FamFG Mitteilung über den Rechtsstreit gemacht.
2. Der Rechtsstreit wird ausgesetzt bis zur Entscheidung des AG - Betreuungsgerichts - Mannheim über eine Betreuerbestellung für die Klägerin.
Gründe
I. Die Klägerin, vertreten durch ihre Tochter, verlangt vom Beklagten die Herausgabe einer diesem erteilten Vollmachtsurkunde.
Die Klägerin ist die Mutter des Beklagten. Sie hat sowohl diesem als auch ihrer Tochter mit notarieller Urkunde vom 4.2.2002 eine unbefristete und jederzeit widerrufliche Vorsorge- und Generalvollmacht erteilt, die die Bevollmächtigten berechtigt, die Klägerin umfassend zu vertreten, soweit gesetzlich eine Stellvertretung überhaupt zulässig ist. Die Klägerin ist inzwischen geschäftsunfähig und lebt in einem Seniorenheim.
Die Bevollmächtigten werfen sich gegenseitig vor, die Vermögensinteressen der Klägerin zu missachten. Mit der Begründung, der Beklagte habe sich der Untreue zum Nachteil der Klägerin schuldig gemacht (§ 266 StGB), hat die Tochter der Klägerin - gestützt auf ihre Vollmacht vom 4.2.2002 - namens der Klägerin die Vollmacht des Beklagten widerrufen. Dem hat der Beklagte widersprochen. Er verweigert die Herausgabe der ihm erteilten Ausfertigung der Vollmachtsurkunde.
II. Die Klage ist (derzeit) unzulässig, weil die prozessunfähige Klägerin mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 ZPO nicht gesetzlich vertreten ist (§ 51 Abs. 1 ZPO). Zur (möglichen) Behebung dieses Mangels wird gem. § 22a Abs. 1 FamFG das Betreuungsgericht informiert. Diesem obliegt es zu prüfen, ob ein Betreuer für die Klägerin zu bestellen ist (vgl. BT-Drucks. 15/4874 S. 28). Bis zur Entscheidung hierüber wird das Verfahren ausgesetzt (§ 148 ZPO).
Ist eine prozessunfähige Person Partei, so muss sie sich im Prozess durch ihren gesetzlichen Vertreter vertreten lassen. Andernfalls fehlt es an einer Sachurteilsvoraussetzung; im Aktiv- wie im Passivprozess ist die Klage als unzulässig abzuweisen.
Die Vertretung nicht prozessfähiger Parteien vor Gericht erfolgt durch deren gesetzlichen Vertreter (§ 51 Abs. 1 ZPO). Gesetzlicher Vertreter volljähriger prozessunfähiger (natürlicher) Personen ist der Betreuer (§ 1902 BGB). Ein solcher ist für die Klägerin nicht bestellt.
Allerdings steht eine natürliche Person, die wirksam schriftlich von der nicht prozessfähigen Partei mit ihrer gerichtlichen Vertretung bevollmächtigt wurde, einem gesetzlichen Vertreter gleich, wenn die Bevollmächtigung geeignet ist, gem. § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB die Erforderlichkeit einer Betreuung entfallen zu lassen (§ 51 Abs. 3 ZPO). Die Klägerin wird zwar durch ihre Tochter aufgrund wirksam erteilter (umfassender) Vorsorge- und Generalvollmacht vertreten. Diese Vollmacht erfüllt im Streitfall jedoch - bezogen auf den Streitfall - nicht die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 ZPO. Sie ist nicht geeignet, gem. § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB die Erforderlichkeit einer Betreuung entfallen zu lassen. Nach dieser Bestimmung ist eine Betreuung nicht erforderlich, wenn die Angelegenheiten des betroffenen Volljährigen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Das bedeutet, dass die Vollmacht gerade den Wirkungskreis umfassen muss, auf den sich der Prozess bezieht. Das ist hier aber nicht der Fall. Denn die oben genannte Vollmacht umfasst nicht die Befugnis des einen Bevollmächtigten, für die Vollmachtgeberin die inhaltsgleiche Vollmacht des anderen Bevollmächtigten zu widerrufen und im Anschluss hieran die Vollmachtsurkunde heraus zu verlangen.
Die Klägerin hat ihre beiden Kinder - jedem für sich allein - Generalvollmacht (Solidarvollmacht) erteilt, mi...