Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Anordnung von Beschränkungen in der U-Haft nach neuem Recht. Berücksichtigung im Haftbefehl nicht aufgeführter Haftgründe

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 119 Abs. 1 präzisiert die bisherige Regelung des § 119 Abs. 3 1. Alternative StPO, nach der den in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten solche über die reine Freiheitsentziehung hinausgehende Beschränkungen auferlegt werden können, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert. Anders als § 119 Abs. 3 StPO a.F. benennt er dabei jedoch zur Klarstellung die zulässigen Zwecke der Untersuchungshaft (die Verhinderung von Flucht, Verdunkelungshandlungen und Wiederholungstaten) ausdrücklich.

2. a) Eine sachliche Erweiterung oder Einschränkung der Kompetenzen ist damit nicht verbunden. Durch die gewählte Formulierung stellt § 119 StPO deutlicher als bisher heraus, dass die Anordnung von Beschränkungen nicht nur auf den oder die im Haftbefehl ausdrücklich genannten Haftgründe gestützt werden kann, sondern auch zur Abwehr aller anderen Gefahren in Betracht kommt, denen durch die Anordnung der Untersuchungshaft begegnet werden soll.

b) Im Hinblick auf Wiederholungsgefahren gilt dies schon deshalb, weil der Haftbefehl nur dann auf 3gestützt werden darf, wenn ein Haftgrund nach § 112 StPO nicht vorliegt. In diesen Fällen muss es daher grundsätzlich möglich sein, Beschränkungen auch auf die Aspekte der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr zu stützen, wenn sich solche Gesichtspunkte später herausstellen. Letzteres muss im Ergebnis auch dann gelten, wenn (nur) einer der in § 112 Abs. 2 StPO enthaltenen Haftgründe der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr im Haftbefehl ausdrücklich genannt ist.

 

Verfahrensgang

LG Konstanz (Entscheidung vom 13.01.2010; Aktenzeichen 3 KLs 43 Js 17215/09)

LG Konstanz (Entscheidung vom 30.12.2009; Aktenzeichen 3 KLs 43 Js 17215/09)

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts - .... Große Strafkammer - C. vom 30. Dezember 2009 i. v. m. dem Nichtabhilfebeschluss vom 13. Januar 2010 wird aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung kostenpflichtig (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) als

 

Gründe

I. A. befindet sich seit seiner vorläufigen Festnahme am 25.8.2009 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts C. vom 20.8.2009 (Az.: ...) wegen des dringenden Verdachts eines von diesem am ....2009 im ...Markt, ... begangenen Verbrechens der versuchten schweren räuberischen Erpressung ununterbrochen in Untersuchungshaft. Haftgrund ist Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.

Mit Beschluss des (seit Anklageerhebung am 11.11.2009 zuständigen) Landgerichts - .... Große Strafkammer - C. vom 30.12.2009 wurde gem. § 119 Abs. 1 StPO angeordnet,

- dass der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen (Nr. 1),

- dass Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind (Nr. 2) und

- dass die Übergabe von Gegenständen der Erlaubnis bedarf (Nr. 3).

Außerdem wurde gem. § 119 Abs. 6 StPO angeordnet, dass die genannten Maßnahmen auch dann Geltung besitzen, wenn die Untersuchungshaft zur Vollstreckung anderer freiheitsentziehender Maßnahmen unterbrochen wird. Zur Begründung verwies das Landgericht darauf, dass auch unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung und der schutzwürdigen Interessen des Angeklagten die angeordneten Beschränkungen zur Abwehr des Haftgrundes erforderlich seien, da der Angeklagte zum einen eine hohe Strafe zu erwarten habe und zum anderen - wie sich aus dem Beschluss des Landgerichts vom 3.12.2009 ergebe - die Gefahr der Absprache des Aussageverhaltens des Angeklagten und der Zeugin E., seiner früheren Lebensgefährtin, bestehe.

Gegen diesen Beschluss legte der Angeklagte, vertreten durch seinen Verteidiger mit Telefax vom 30.12.2009 Beschwerde ein.

Das Landgericht - .... Große Strafkammer - C. half der Beschwerde mit Beschluss vom 13.1.2010 auch unter Berücksichtigung der ab 1.1.2010 geltenden Neufassung des § 119 Abs. 1 StPO nicht ab und legte die Akte nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch Beschluss vom selben Tag dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Entscheidung vor.

Die Generalstaatsanwaltschaft trägt in ihrer Stellungnahme vom 27.1.2010 auf Verwerfung der Beschwerde an.

II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

1. § 119 Abs. 1 StPO präzisiert die bisherige Regelung des § 119 Abs. 3 1. Alternative StPO, nach der den in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten solche über die reine Freiheitsentziehung hinausgehende Beschränkungen auferlegt werden können, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert. Anders als § 119 Abs. 3 StPO a. F. benennt er dabei jedoch zur Klarstellung die zulässigen Zwecke der Untersuchungshaft (die Verhinderung von Flucht, Verdunkelungshandlungen und Wiederholungstaten) ausdrücklich. Eine sachliche Erweiterung oder Einschränkung der Kompetenzen ist damit nicht verbunden. Durch die gewählte Formulierung stellt § 119 StPO deutlicher als bisher heraus, dass die Anordnung von Beschränkungen n...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge