Entscheidungsstichwort (Thema)
Entziehung der elterlichen Sorge bei schwerwiegender Kindesmisshandlung in der Obhut der Eltern
Leitsatz (amtlich)
1. Eine schwerwiegende Kindesmisshandlung stellt grundsätzlich einen Anwendungsfall des § 1666 Abs. 1 BGB dar.
2. Für die Annahme einer gegenwärtigen begründeten Besorgnis der (erneuten) Kindeswohlgefährdung sind in der Vergangenheit eingetretene Schäden weder erforderlich noch ausreichend, sie haben aber Indizfunktion für auch künftige Schädigungen des Kindes.
3. Ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen gegenüber den Eltern zu treffen sind, richtet sich nach dem Grad der Gewissheit, dass zum einen eine Kindesmisshandlung in der Obhut der Eltern stattgefunden hat. Zum anderen kommt es auf den Grad des Verdachts gegen den Elternteil an, der - nach Trennung der Eltern - die elterliche Sorge für das Kind begehrt. Liegen gesicherte Anzeichen dafür vor, dass der die elterliche Sorge begehrende Elternteil die Kindesmisshandlungen begangen haben könnte, liegt grundsätzlich eine Maßnahmen nach § 1666 BGB rechtfertigende konkrete Gefährdung des Kindeswohls vor.
Verfahrensgang
AG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 01.07.2016; Aktenzeichen 48 F 172/16) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Freiburg vom 01.07.2016 (48 F 172/16) wird zurückgewiesen.
2. Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Entziehung des Sorgerechts für ihren Sohn, den heute ... Jahr alten ....
Den zwischenzeitlich getrennt lebenden Eltern wurde mit Beschluss des Amtsgericht - Familiengericht - Freiburg vom 01.07.2015 die elterliche Sorge für ... gemäß § 1666 BGB entzogen. Grund hierfür war, dass ... in der Obhut der Eltern in seinen ersten Lebenswochen mehrere schwere Verletzungen erlitten hatte. ... wurde am 14.01.2016 durch das Jugendamt in Obhut genommen und lebt seit der Beendigung seines stationären Klinikaufenthalts am 20.01.2016 in einer Bereitschaftspflegefamilie.
... wurde am ... geboren. Seine Eltern hatten sich im Februar 2014 kennengelernt und am 19.06.2015 geheiratet. Die Mutter, die zum Zeitpunkt der Geburt 24 Jahre alt war, ist von Beruf Kinderpflegerin, der Vater war 22 Jahre alt und arbeitete damals als Altenpflegehelfer. ... und seine Mutter wurden am 19.12.2015 aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen.
Am 23.12.2015 stellten Mutter und Hebamme bei ... eine Verletzung am Fuß und am Oberarm fest. Am 23.12.2015 wurde ein großflächiger blauer Fleck im hinteren linken Wangenbereich festgestellt. Am 27.12.2015 machte der Vater die Mutter darauf aufmerksam, dass ... komisch atme und es beim Atmen "knacke und ploppe". Am 27./28.12.2015 zeigten sich weitere Hautverfärbungen. Die Hebamme stellt am 28.12.2015 einen blauen Fleck an der Wade und einen Kratzer im Gesicht fest. ... wurde sodann auf Rat der Hebamme im ... vorgestellt und war dort bis 31.12.2015 stationär untergebracht. Die Hautverfärbungen wurden dort zunächst als Symptome einer Hauterkrankung interpretiert. Am 05.01.2016 stellten die Eltern ... wegen der Fleckbildung beim Kinderarzt vor, der sie wiederum an das ... verwies, wo er erneut bis 07.01.2016 stationär aufgenommen wurde. Am 08.01.2016 wurde ... erneut dem Kinderarzt vorgestellt wegen einer Einblutung im Auge. Am 09.01.2016 erlitt ... eine Oberschenkelschaftfraktur. Der Vater gab insoweit an, dass er ... nach dem Wickeln auf dem Arm gehabt, dieser sich abgestoßen habe und auf den Boden gefallen sei. ... wurde sodann von den Eltern ins ... verbracht und befand sich dort bis 20.01.2016 in stationärer Behandlung. Bei der am 11.01.2016 durchgeführten Röntgenuntersuchung wurden Rippenserienfrakturen älteren Datums diagnostiziert, die in der zweiten Dezemberhälfte entstanden sein müssen. Außerdem wurde eine handgelenksnahe Kantenfraktur der Speiche festgestellt, die allenfalls wenige Tag alt war. Schließlich wurde die Diagnose hinsichtlich der Hautverfärbungen nachträglich dahingehend korrigiert, dass es sich hierbei - ebenso wie bei den Verfärbungen an Wange und Wade - um Hämatome handelte.
Nach Bestellung eines Verfahrensbeistands und Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens sowie unter Einbeziehung der rechtsmedizinischen Gutachten vom 12.01.2016 und 07.04.2016 entzog das Amtsgericht Freiburg mit Beschluss vom 01.07.2016 den Eltern die elterliche Sorge für .... Die festgestellten Rippenfrakturen, deren Entstehung unklar sei, seien nach den vorliegenden rechtsmedizinischen und familienpsychologischen Gutachten am ehesten auf ein Schütteltrauma zurückzuführen. Hierbei werde das Kind in einer kurzen Überforderungssituation gepackt und geschüttelt. ... sei in der fraglichen Zeit nahezu ausschließlich von den Eltern betreut worden. Aufgrund der mit einem Schütteltrauma verbundenen extremen Gefahr für das Kind (30 % der Schüttelki...