Leitsatz (amtlich)
Es erfüllt den Begriff der Ungebühr im Sinne des § 178 GVG, wenn eine Partei die Gegenseite und deren Prozessbevollmächtigten als "Fratzen" bezeichnet ("Wenn ich die zwei Fratzen da drüben sehen muss...").
Normenkette
GG Art. 5; GVG § 178 Abs. 1, § 181 Abs. 1, 3, § 182
Verfahrensgang
AG Heidelberg (Beschluss vom 01.07.2016; Aktenzeichen 26 C 352/15) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des AG Heidelberg vom 1.7.2016, Az. 26 C 352/15, wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen den Beklagten Forderungen aus einem Mietverhältnis über gewerbliche Räume zum Betrieb eines Fitness-Centers und zur Durchführung von Kickbox-Training geltend.
Am 1.7.2016 fand vor dem AG eine öffentliche Sitzung statt. In deren Verlauf erhob der Kläger nach sachlichen Ausführungen des Beklagtenvertreters mit deutlicher erhöhter Lautstärke seine Stimme und wurde daraufhin vom Vorsitzenden nachdrücklich darauf hingewiesen, dies zu unterlassen. Daraufhin erklärte der Kläger: "Ich möchte dem da drüben jetzt etwas an die Krawatte sagen."
Danach äußerte der Kläger sehr leise, jedoch für den Vorsitzenden deutlich vernehmbar: "Wenn ich die zwei Fratzen da drüben sehen muss...". Hierauf erklärte der Kläger, dass er dies zu seinem anwaltlichen Vertreter und nicht in den Raum gesagt habe. Zuvor sei er von seinem anwaltlichen Vertreter aufgefordert worden, ruhig zu sein, das sei aber nicht sein Naturell.
Nach Anhörung des Klägers, in der dieser angab, dass man laut Presseberichten heutzutage auch zum türkischen Präsidenten "Arschloch" sagen könne, verhängte der Vorsitzende in der Sitzung gegen den Kläger ein Ordnungsgeld von 200 Euro, ersatzweise für den Fall der Nichteintreibung Ordnungshaft von vier Tagen. Dies wurde damit begründet, dass der Kläger in öffentlicher Sitzung die Gegenpartei und den anwaltlichen Parteivertreter als "Fratzen" bezeichnet habe und weitere ungebührliche Äußerungen, die zu Protokoll genommen worden seien, getätigt habe.
Durch Schreiben vom 6.7.2016 entschuldigte sich der Kläger und bat, den Beschluss zurückzuziehen. Durch Beschluss vom 8.7.2016 hat das AG diese Bitte als Beschwerde ausgelegt, ihr nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und dabei insbesondere auf die Sitzungsniederschrift des AG vom 1.7.2016 Bezug genommen.
II. Die gemäß § 181 Absatz 1 und 3 GVG zulässige Beschwerde des Klägers gegen den Ordnungsmittelbeschluss hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die formellen Voraussetzungen für die Festsetzung einer Ordnungsmaßnahme sind erfüllt.
Bei der Festsetzung eines Ordnungsmittels wegen Ungebühr ist der Beschluss des Gerichts und dessen Veranlassung in das Protokoll aufzunehmen (§ 182 GVG). Zweck der Bestimmung ist die Sicherstellung einer möglichst umfassenden und von Erinnerungslücken freien, objektiven Dokumentation der Vorgänge, die zur Festsetzung eines Ordnungsmittels geführt haben (OLG Karlsruhe, MDR 1997, 687). Vorliegend hat das AG eine in diesem Sinne hinreichende Protokollierung vorgenommen. Vor Verhängung der Ordnungsmittel ist rechtliches Gehör zu gewähren (Zöller/Lückemann, ZPO 31. Aufl. § 178 Rn. 5). Das AG hat in seiner mündlichen Verhandlung vom 1.7.2016 den Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verhängung eines Ordnungsgeldes in Betracht kommt, und ihn darauf hin zur Sache angehört. Schließlich ist der Beschluss, durch den gegen eine Partei wegen ihrer Ungebühr in der Sitzung ein Ordnungsmittel verhängt wird, in der Sitzung zu verkünden und in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen, da mit dem Ende der Sitzung die Ordnungsgewalt des Gerichts endet (OLGR Köln 1993, 94). Auch dies ist vorliegend geschehen.
2. Auch die sachlichen Voraussetzungen sind gegeben.
a) Gemäß § 178 Absatz 1 GVG kann u.a. gegen Parteien, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden.
Schutzgut des § 178 Absatz 1 GVG ist ein geordneter, die Sachlichkeit der gerichtlichen Verhandlung gewährleistender Verfahrensablauf (BVerfG, FamRZ 2007, 1961 Rn. 13). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Ungebühr gegenüber dem Gericht begangen wird; auch grob abschätzige Verhaltensweisen gegenüber anderen Verfahrensbeteiligten reichen aus (MünchKomm-ZPO/Zimmermann, 4. Aufl. § 178 Rn. 4). Das ungebührliche Verhalten muss von erheblichem Gewicht sein, wozu grobe verbale Ausfälle und gezielte Provokationen zählen (MünchKomm-ZPO/Zimmermann, 4. Aufl. § 178 Rn. 4). Hierzu gehören etwa ehrverletzende Äußerungen, die in keinem inneren Zusammenhang zur Ausführung oder Verteidigung der geltend gemachten Rechte stehen oder deren Unhaltbarkeit ohne weiteres auf der Hand liegt (BVerfG, FamRZ 2007, 1961 Rn. 14). In der Rechtsprechung sind Titulierungen als "Fettsack" (OLG Stuttgart, Die Justiz 1991, 27) und "Strolch" (OLG Köln, N...