Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Aktenzeichen 10 O 446/16) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten zu 2 wird der Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 05.01.2018, mit dem der Beklagten zu 2 eine Verzögerungsgebühr auferlegt wurde, aufgehoben.
Dieses Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Beklagten zu 2 (§§ 69 Satz 1, 66 GKG) hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
1. Das Gericht kann - soweit hier von Belang - einer Partei eine besondere (Verzögerungs-)Gebühr auferlegen, wenn - außer im Falle der Unzulässigkeit einer Säumnisentscheidung (§ 335 ZPO) - durch das Verschulden der Partei die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist (§ 38 Satz 1 Var. 1 GKG). Um die Verzögerung des Rechtsstreits durch nachträgliches Vorbringen von Angriffs- oder Verteidigungsmitteln, Beweismitteln oder Beweiseinreden, die früher hätten vorgebracht werden können (§ 38 Satz 1 Var. 2 GKG), geht es vorliegend ohnehin nicht.
2. Da die Verzögerungsgebühr Strafcharakter hat und eine "Sühne" für ein prozesswidriges Verhalten einer Partei oder ihres Vertreters darstellt, kann sie in den Fällen nicht verhängt werden, in denen die Partei oder ihr Vertreter zwar das Verfahren verzögert, sich dabei aber - noch - prozessordnungsmäßig verhält (vgl. VerfGH Leipzig, Beschl. v. 27.09.2010 - 46-IV-10 [juris Tz. 12]; OLG Hamm, Beschl. v. 15.01.2003 - 12 WF 244/02 [juris Tz. 2]; OLG Naumburg, Beschl. v. 29.10.2002 - 8 WF 203/02 [juris Tz. 2]; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.07.1995 - 2 WF 156/95 [juris Tz. 5]; Oestreich/Hellstab/Trenkle, GKG/FamGKG, 103. EL 06/2015, § 38 GKG Rn. 7). Denn dann liegt ein insoweit relevantes schuldhaftes Verhalten nicht vor. Dies ist hier der Fall.
3. Die im Zivilprozess geltende Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) untersagt den Parteien lediglich, tatsächliche Erklärungen abzugeben, die nach ihrer eigenen - subjektiven - Überzeugung unwahr sind (vgl. Musielak/Voit - Stadler, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 138 Rn. 2). Die prozessuale Wahrheitspflicht hindert die Parteien jedoch nicht daran, ihnen zweifelhafte Umstände oder Vorgänge ohne Rücksicht auf ihre subjektive Wahrscheinlichkeitseinschätzung zu behaupten oder bestreiten; nichts anderes gilt, wenn die Partei Wahrheit oder Unwahrheit nicht kennt und deshalb auf Vermutungen angewiesen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 20.05.2015 - IV ZR 34/14 [juris Tz. 16]; Musielak/Voit - Stadler, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 138 Rn. 2 m.w.N.). Deshalb ist eine Behauptung erst dann unbeachtlich, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Partei selbst nicht an ihre Richtigkeit glaubt, oder das Gericht sie für eine willkürliche, ohne greifbare Anhaltspunkte ausgesprochene Vermutung hält, die Behauptung also nach Auffassung des Gerichts "ins Blaue hinein" aufgestellt worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 02.04.2009 - V ZR 177/08 [juris Tz. 11]; Urt. v. 19.09.1985 - IX ZR 138/84 [juris Tz. 27]). Eine schuldhafte Verzögerung des Rechtsstreits durch Parteivorbringen - wie hier vom Landgericht angenommen - kommt nach alledem aber erst bei einer Verletzung der - subjektiven - Wahrheitspflicht in Betracht (vgl. dazu auch Hartmann, Kostengesetze, 48. Aufl. 2018, § 38 GKG Rn. 14 Stichwort: Wahrhaftigkeitspflicht).
4. Dass die Beklagte zu 2 gemessen hieran gegen ihre prozessuale Wahrheitspflicht verstoßen hat, stellt jedoch weder das Landgericht fest noch lässt sich dies feststellen. Dass aus der - ex ante - Sicht des Landgerichts eine kollusive Absprache der Unfallbeteiligten "völlig fernliegend" war, reicht dafür nicht aus. Dass kein Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht vorlag, wird vielmehr dadurch belegt, dass das Landgericht dem Vorbringen der Beklagten zu 2 zu einer von dieser behaupteten Unfallmanipulation nachgegangen ist und die - auch - insoweit angebotenen Beweise erhoben hat; denn dies wäre im Falle eines Verstoßes gegen die prozessuale Wahrheitspflicht, insbesondere diesbezüglichen - (nunmehr) vom Landgericht in Betracht gezogenen ("abwegigen und sinnlosen Vortrags", "haltlose Unterstellung") - Angaben "ins Blaue hinein", schon deshalb entbehrlich gewesen, weil das Vorbringen dann - wie bereits ausgeführt - unbeachtlich gewesen wäre. In diesem Fall würde die Verzögerung im Übrigen nicht - wie für die Verhängung einer Verzögerungsgebühr erforderlich (vgl. OLG München, Beschl. v. 17.07.2000 - 11 W 2003/00 [juris Tz. 5]; Oestreich/Hellstab/Trenkle, GKG/FamGKG, 103. EL 06/2015, § 38 GKG Rn. 16) - auf dem unbeachtlichen Vorbringen der Beklagten zu 2, sondern der überflüssigen Befassung des Landgerichts damit beruhen. Dass diese Voraussetzungen nicht vorlagen, sondern vielmehr eine Befassung mit dem - prozessordnungsgemäßen - Vorbringen der Beklagten zu 2 geboten war, erkennt das Landgericht allerdings zumindest im Ansatz selbst, wenn es im Nichtabhilfebeschluss au...