Leitsatz (amtlich)

Gehören die ersuchende Staatsanwaltschaft und die ersuchte Justizbehörde zu demselben Hoheitsträger, kann die Staatsanwaltschaft eine gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG gegen die Versagung einer Akteneinsicht jedenfalls dann nicht herbeiführen, wenn beide Justizbehörden einer gemeinsamen Entscheidungsspitze unterstehen und sich die ersuchende Behörde nicht auf eigene Rechte berufen kann.

 

Tenor

1. Die Verfahren 6 VA 19/20 und 6 VA 23/20 werden verbunden. Das Verfahren 6 VA 23/20 führt.

2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Antragstellerin vom 30.06.2020, wiederholt am 17.07.2020, gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Titisee-Neustadt - Betreuungsgericht - vom 22.05.2020, AZ XVII 40/18, wird verworfen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Staatsanwaltschaft Freiburg wendet sich gegen eine Entscheidung des Amtsgerichts - Betreuungsgericht - Titisee-Neustadt, mit der ihr Akteneinsicht in die dort geführten Akten aus einem laufenden Betreuungsverfahren für die Betroffene verwehrt worden ist.

Die Antragstellerin ermittelt gegen die Betroffene wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung sowie wegen Hausfriedensbruchs.

Nachdem das Amtsgericht - Betreuungsgericht - die Akteneinsicht in die Betreuungsakte der Betroffenen unter Hinweis auf eine nicht genügende Darlegung der für die Prüfung der Akteneinsicht maßgeblichen Umstände abgelehnt und die Einholung der Zustimmung der Betreuerin durch die Staatsanwaltschaft angeregt hatte, vertiefte die Staatsanwaltschaft ihr Vorbringen und bat um eine förmliche Entscheidung. Die Akteneinsicht liege im Interesse der Betroffenen, da auf ihrer Grundlage möglicherweise von einer für sie kostenintensiven Begutachtung ihrer Schuldfähigkeit abgesehen werden könne. Es gehe um die Ermittlung mildernder Umstände zugunsten der Betroffenen, nachdem Anhaltspunkte für deren fehlende oder verminderte Schuldfähigkeit vorlägen. Eine ggf. gleichwohl erforderliche Zustimmung der Betroffenen oder ihrer Betreuerin müsse das Betreuungsgericht besorgen. Dies könne zugleich mit der ohnehin erforderlichen Gewährung von rechtlichem Gehör an die Betroffene erfolgen. Die Erhebung von relevanten Aktenbestandteilen bei der Betreuerin durch die Antragstellerin sei kein milderes Mittel gegenüber einer Erhebung beim Betreuungsgericht. Die Antragstellerin hat insoweit zuletzt beantragt, ihr Akteneinsicht in die Betreuungsakten zu gewähren, hilfsweise die Einsicht auf die in der Akte befindlichen Betreuungsgutachten und ärztlichen Atteste zu beschränken.

Mit förmlichem, der Antragstellerin am 04.06.2020 zugestelltem Beschluss vom 22.05.2020, der keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, lehnte das Amtsgericht - Betreuungsgericht - durch den Abteilungsrichter das Ersuchen um Akteneinsicht ohne Anhörung der Betroffenen und ihrer Betreuerin ab. Ein Einverständnis der Beteiligten liege nicht vor. Die strenge Güterabwägung unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergebe kein überwiegendes Allgemeininteresse an der Akteneinsicht. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung habe sich nicht an der Praktikabilität einer einfachen und kostengünstigen Strafverfolgung, sondern am Recht des Betroffenen am Schutz seiner privaten Geheimnisse und seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu orientieren. Zwar sei die Akteneinsicht zugunsten der Betroffenen zweckmäßig, die Entscheidung hierüber obliege aber der Betroffenen. Es sei der Staatsanwaltschaft unbenommen, die Betroffene zu laden und ihr die für sie günstigen Umstände zu erläutern oder sich die Betreuungsgutachten von der Betreuungsbehörde übersenden zu lassen.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 05.06.2020 beim Amtsgericht - Betreuungsgericht - einen als "Beschwerde gemäß § 58 Abs. 1 FamFG" bezeichneten Rechtsbehelf eingelegt. Sie habe ein berechtigtes Interesse an der begehrten Akteneinsicht. Das - näher konkretisierte - Tatgeschehen begründe neben der bestehenden Betreuung Anhaltspunkte für eine eingeschränkte oder sogar aufgehobene Schuldfähigkeit der Betroffenen aufgrund einer psychischen Erkrankung. Die Akteneinsicht liege im Interesse der Betroffenen, da aufgrund der hieraus gewonnenen Erkenntnisse das Ermittlungsverfahren aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ohne Einholung eines kostenintensiven und aufwendigen Gutachtens zur Schuldfähigkeit möglicherweise nach § 153 StPO eingestellt werden könne. Ein überwiegendes entgegenstehendes Interesse der Betroffenen sei nicht ersichtlich. Das Amtsgericht habe, ohne eine Güterabwägung am konkreten Fall vorzunehmen, die Akteneinsicht allein aufgrund der fehlenden Zustimmung abgelehnt. Aus der Entscheidung gehe nicht hervor, ob es das Einverständnis der Betroffenen angefragt und ihr hierbei Gelegenheit gegeben habe, ihre Interessen an einer Versagung darzulegen.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem im Beschwerderechtszug nach § 72 Abs. 1 Satz 2 GVG übergeordneten Landgericht vorgelegt. Diese...

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