Orientierungssatz

Orientierungssätze:

1.

Die Bewilligung einer Auslieferung eines Verfolgten an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, welcher zuvor einer vereinfachten Auslieferung zugestimmt hat, unterliegt wegen der auch als "vollstreckende Justizbehörde" fehlenden Unabhängigkeit der Generalstaatsanwaltschaft gerichtlicher Kontrolle durch das Oberlandesgericht (Folge von EuGH, Urteil vom 24.11.2020 - C 510/19 -).

2.

Da der Verfolgte mit Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung auf eine vollumfassende gerichtliche Überprüfung verzichtet hat und der ersuchende Staat deshalb von der Vorlage weiterer Auslieferungsunterlagen befreit sein kann, beschränkt sich diese gerichtliche Kontrolle im Regelfalle darauf, ob der Bewilligungsbehörde offensichtliche Rechtsfehler unterlaufen sind oder der Verfolgte ausdrückliche Einwendungen erhoben hat.

3.

Der vor dem Haftrichter geäußerte Verzicht auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität ist unwirksam, wenn bei der Anhörung der zuvor bestellte Rechtsbeistand nicht anwesend war.

 

Normenkette

IRG §§ 11, 21-22, 29, 40 Abs. 4, § 41 Abs. 2, § 79 Abs. 1, §§ 2-3, 82, 83b; RB-EUHb Art. 6 Abs. 2, Art. 27 Abs. 2; GG Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3

 

Tenor

Die von der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe am 26. November 2020 beantragte Zustimmung zur vorgesehenen Verfahrensweise wird mit der Maßgabe erteilt, dass die Bewilligungsentschließung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 17. November 2020 dahingehend abzuändern ist, dass die Verfolgte nicht rechtswirksam auf den Grundsatz der Spezialität verzichtet hat, so dass dieser zu beachten ist.

 

Gründe

I.

Der Senat hat gegen die seit 09.11.2020 inhaftierte Verfolgte am 12.11.2020 einen vorläufigen Auslieferungshaftbefehl erlassen, welcher weiter fortbesteht.

Grundlage desselben sind drei Ausschreibungen der italienischen Behörden im Schengener Informationssystem (SIS II - A-Formular), aus welchen sich ergibt, dass die Verfolgte jeweils wegen mehrfachen Diebstahls wohl durch Urteil des Gerichts in C./Italien vom 01.10.2008 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten, wohl durch Urteil des Gerichts in C./Italien vom 08.01.2012 zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten und wohl durch Urteil des Gerichts in C./Italien vom 03.01.2013 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wurde, wobei die Gesamtsumme aller Strafen von vier Jahren und acht Monaten noch zur Vollstreckung ansteht. Die der Verfolgten vorgeworfenen Straftaten werden in der Ausschreibung nebst rechtlicher Bewertung wie folgt umschrieben:

Wird ausgeführt:

Da die Verfolgte sich bereits am 10.11.2020 im Beisein einer Rechtsbeiständin vor dem Amtsgericht D./Deutschland mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hatte, hat die Generalstaatsanwaltschaft am 17.11.2020 die Auslieferung der Verfolgten nach Italien wie folgt bewilligt:

Wird ausgeführt:

Mit Schriftsatz vom 24.11.2020 hat die Rechtsbeiständin die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe um Überprüfung dieser Bewilligung gebeten, da die Verfolgte ausdrücklich nicht auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet habe, woraufhin die Generalstaatsanwaltschaft der Rechtsbeiständin unter Hinweis auf das weitere Haftrichterprotokoll des Amtsgerichts E./Deutschland vom 16.11.2020 mitteilte, die Verfolgte habe bei dieser weiteren richterlichen Einvernahme im Rahmen der Eröffnung des vorläufigen Auslieferungshaftbefehls auf den Grundsatz der Spezialität verzichtet.

Mit Schreiben vom 26.11.2020 hat die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe um Zustimmung zur beabsichtigten Vorgehensweise gebeten. Am 30.11.2020 wurde der Rechtsbeiständin unter Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 24.11.2020 (C 510/19) hierzu rechtliches Gehör gewährt.

II.

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe ist zulässig.

1. Zwar sieht das Gesetz nicht ausdrücklich vor, dass die Bewilligung einer Auslieferung nach zuvor erfolgter Zustimmung eines Verfolgten zur vereinfachten Auslieferung einer gerichtlichen Überprüfung unterliegt, der Senat hat dies jedoch bereits in Ausnahmefällen anerkannt, wenn etwa der Verfolgte die Wirksamkeit der von ihm erteilten Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung bestreitet (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 14.08.2018, Ausl 301 AR 112/18, abgedruckt bei juris; ders. StV 2007, 653) oder dieser sich gegen eine menschenrechtswidrige Unterbringung im ersuchenden Mitgliedsstaat wendet (Senat, Beschluss vom 06.09.2018, Ausl 301 AR 112/18, abgedruckt bei juris; ähnlich OLG München, Beschluss vom 06.08.2019, 1 AR 300/18; abgedruckt bei juris; vgl. auch dass. Beschluss vom 16.05.2017, 1 AR 188/17, abgedruckt bei juris).

2. Auch das Bundesverfassungsgericht hält die Überprüfung von Bewilligungsentscheidungen durchaus für möglich und in Einzelfällen auch für geboten, jedenfalls dann, wenn die rechtlichen Voraussetzungen der Auslieferung im gerichtlichen Zulässigkeitsverfahren nicht geklärt werden konnten, weil dann letztendlich die nachfolgende Bewilli...

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