Leitsatz (amtlich)
1.
Die von polizeilichen Angaben abweichende Einlassung eines Betroffenen in der Hauptverhandlung, kurz vor Fahrtantritt noch Alkohol getrunken zu haben, kann nicht ohne nähere Auseinandersetzung hiermit als bloße Schutzbehauptung angesehen werden.
2.
Wird die Wartezeit von 20 Minuten zwischen Trinkende und Beginn der ersten Atemalkoholmessung nicht eingehalten, so kann bei deutlicher Überschreitung (hier: 20%) des Gefahrengrenzwertes des § 24a Abs. 1 StVG von 0,25 mg/l durch Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden, ob die mit der Nichteinhaltung verbundenen Schwankungen der Messwerte durch einen Sicherheitszuschlag ausgeglichen werden können (Fortführung von Senat NZV 2004, 426 f. = VRS 107, 52 f. = DAR 2004, 466 f. = Blutalkohol 41 (2004), 467 = SVR 2004, 475 = VersR 2005, 1409 f.).
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Y. vom 20. Dezember 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Y. zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die 21-jährige Betroffene wurde durch Urteil des Amtsgerichts Y. vom 20.12.2005 wegen Führens eines Kraftfahrzeugs mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,31 mg/l zu der Geldbuße von 250,00 EUR verurteilt. Zugleich wurde ihr für die Dauer von einem Monat verboten, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen. Nach den getroffenen Feststellungen war die als Bedienung tätige Betroffene am 13.02.2005 gegen 7.20 Uhr mit ihrem Kraftfahrzeug aus dem Parkplatz der Gaststätte "T" in Y. kommend einer Polizeistreife aufgefallen, nach kurzer Nachfahrt angehalten und gegen 7.35 Uhr einer ersten (Messwert: 0,318 mg/l) und gegen 7.38 Uhr einer zweiten (Messwert: 0,309 mg/l) Atemalkoholkontrolle mit dem Gerät der Marke Dräger Alcotest 7110 Evidential unterzogen worden. Mit ihrer Rechtsbeschwerde beanstandet die Betroffene die Korrektheit der Messung, da die 20-minütige Wartezeit zwischen Trinkende und der ersten Einzelmessung nicht eingehalten worden sei.
II.
Der Rechtsbeschwerde kann ein - zumindest vorläufiger - Erfolg nicht versagt bleiben.
1.
Der Senat teilt die Angriffe der Rechtsbeschwerde gegen die gerichtliche Beweiswürdigung. Diese ist lückenhaft, weil sie sich nicht mit einer nahe liegenden Erklärung für das Einlassungsverhalten der Betroffenen auseinander setzt.
Das Amtsgericht hat deren Angaben in der Hauptverhandlung, kurz vor ihrem Halt auf dem Parkplatz der Gaststätte "T" in Y. noch auf dem "P-Parkplatz" in Y. ein zuvor an einer Tankstelle gekauftes "Cola-Bier" in Anwesenheit eines Mitinsassen getrunken zu haben, als bloße Schutzbehauptung angesehen, weil sie diese Alkoholaufnahme bei der Polizeikontrolle nicht erwähnt und dort nach Ansicht der Polizeibeamten glaubhaft das Trinkende mit 5.00 Uhr angegeben habe. Die Bewertung des Amtsgerichts, die "Betroffene habe für dieses Aussageverhalten keine Gründe anführen können", übersieht jedoch die sich aufdrängende Erkenntnis, dass Alkoholsünder bei einer Verkehrskontrolle oftmals versuchen werden, ihr Trinkende zeitlich nach vorne zu verlagern, um so einer konkreten Überprüfung ihrer alkoholischen Beeinflussung zu entgehen. Hingegen liegt die Annahme, ein solcher Betroffener würde in diesem Verfahrenstadium eine kurz vor Fahrantritt getätigte Alkoholaufnahme freimütig einräumen, eher fern. In Anbetracht dieser durchaus nahe liegenden Möglichkeit von Fehlangaben werden die Polizeibehörden gehalten sein, die in den bundeseinheitlichen Richtlinien für die Durchführung von Atemalkoholmessungen vorgesehene Wartezeit von 20 Minuten zwischen Trinkende und Beginn der ersten Einzelmessung unabhängig von der Einlassung der Betroffenen einzuhalten, wenn sie verlässliche Daten gewinnen wollen (vgl. hierzu für Baden-Württemberg die gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst, des Justizministeriums und des Ministeriums für Umwelt und Verkehr über die Feststellung von Alkohol-, Medikamenten- und Drogeneinfluss bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten; Sicherstellung von Führerscheinen (VwV Blutalkohol) vom 26.04.2005 (4103.B/0107) unter 2.5.5 Kontrollzeit, abgedruckt in: Die Justiz 2005, 265 ff., 266).
2.
Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil.
Der Senat kann nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass die Nichteinhaltung der Wartezeit ohne relevanten Einfluss auf das Messergebnis geblieben ist.
a.
Bei der Bestimmung der Atemalkoholkonzentration handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich vorgesehen, dass bei der Atemalkoholbestimmung nur Messgeräte eingesetzt und Messmethoden angewendet werden dürfen, die den im Gutachten des Bundesgesundheitsamts gestellten Anforderungen genügen (vgl. hierzu BGHSt 46, 358 ff, 363 = NZV 2001, 267 f. = DAR 2001, 275 ff. = Blutalkohol 38 (2001), 280 ff.). Danach besteht für das Messverfahren neben dem Erfordernis einer Kontrollzeit von 10 Minuten vor der ersten Einz...