Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewaltschutzverfahren: Rechtsschutzbedürfnis trotz Vergleichsschluss in einem vorangegangenen Verfahren

 

Normenkette

GewSchG § 1 Abs. 1, § 4 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Freiburg i. Br. (Beschluss vom 11.01.2013; Aktenzeichen 52 F 47/13)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Freiburg vom 11.1.2013 (52 F 47/13) aufgehoben.

2. Der Antragstellerin wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für die erste Instanz unter Beiordnung von Rechtsanwalt K., F., insoweit bewilligt, als Kosten von bis zu 150 EUR anfallen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin beantragt Verfahrenskostenhilfe für einen Antrag nach § 1 GewSchG. Zeitgleich begehrt sie Verfahrenskostenhilfe für ein nahezu gleichlautendes Verfahren der einstweiligen Anordnung, das beim AG Freiburg unter dem Aktenzeichen 52 F 46/13 geführt wird.

Bereits im Dezember 2012 haben sich die Beteiligten in einem von der Antragstellerin beim AG Freiburg eingeleiteten Gewaltschutzverfahren (52 F 2147/12) darauf geeinigt, dass sie der jeweils anderen nicht nachstellen, sie nicht beleidigen und nicht belästigen. Das Zustandekommen des Vergleichs wurde mit Beschluss vom 17.12.2012, auf den verwiesen wird, festgestellt und für die Zuwiderhandlungen gegen die Verpflichtungen aus dem Vergleich ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft angedroht.

Mit Beschluss vom 11.1.2013, auf den für Einzelheiten verwiesen wird, wies das AG - Familiengericht - Freiburg den Antrag im nunmehr anhängigen Verfahren wegen Mutwilligkeit zurück.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde vom 23.1.2013, eingegangen beim AG Freiburg am gleichen Tag. Im Hinblick darauf, dass sie von ihrer Rechtsschutzversicherung eine Deckungszusage erhalten hat, beschränkte sie ihren Antrag auf den Selbstbeteiligungsbetrag i.H.v. 150 EUR. Für Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift Bezug genommen.

Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II. Die nach §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige Beschwerde ist begründet.

1. Der Antrag verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.v. § 114 ZPO.

a) Der Zulässigkeit des Antrages steht nicht die Feststellung des Vergleichs im Verfahren 52 F 2147/12 entgegen. Das Rechtsschutzbedürfnis für das vorliegende Verfahren besteht für die Antragstellerin darin, eine Bestrafungsgrundlage für weitere Verstöße gegen eine Gewaltschutzanordnung zu schaffen (genauso Krüger in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 4 GewSchG Rz. 3; OLG Hamburg, Beschluss vom 29.4.2010 -1 Ss 77/09 - juris; LG Kassel FamRZ 2006, 561).

Nach § 4 Satz 1 GewSchG ist zu bestrafen, wer einer bestimmten vollsteckbaren Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3, auch i.V.m. Abs. 2 Satz 1 GewSchG zuwiderhandelt. Durch diese Bestrafungsmöglichkeit wird insbesondere sichergestellt, dass Polizeibehörden - z.B. durch eine Ingewahrsamnahme - schnell und effektiv eingreifen können (vgl. MünchKomm/Krüger, a.a.O., § 4 GewSchG Rz. 1). Diese Möglichkeit hat die Antragstellerin durch den im Verfahren 52 F 2147/12 abgeschlossenen Vergleich nicht erlangt. § 4 Satz 1 GewSchG erfordert seinem eindeutigen Wortlaut nach eine gerichtliche Anordnung als Grundlage für die Bestrafung. Eine gerichtliche Anordnung in diesem Sinne stellt einen einseitigen hoheitlichen Akt dar. Davon unterscheidet sich ein zweiseitig geschlossener Vergleich, der dem Gericht die hoheitliche Regelungsbefugnis entzieht, so erheblich, dass eine erweiternde Auslegung des § 4 Satz 1 GewSchG auf vergleichsweise Regelungen nicht in Betracht kommt (OLG München, Urt. v. 11.3.2008 - 4 St RR 18/08 - juris; LG Kassel FamRZ 2006, 561; MünchKomm/Krüger, a.a.O., § 4 GewSchG Rz. 2).

b) Auf der Grundlage des Vortrages der Antragstellerin verspricht ihr Antrag auch in der Sache hinreichende Aussicht auf Erfolg. An die Voraussetzung der hinreichenden Erfolgsaussicht sind in dem nur einer summarischen Prüfung unterliegenden Verfahrenskostenhilfeverfahren keine überspannten Anforderungen zu stellen. Sie ist schon dann erfüllt, wenn der vom Antragsteller vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (BGH NJW 1994, 1161). Die Antragstellerin hat schlüssig einen Sachverhalt vorgetragen, der den Erlass einer Gewaltschutzanordnung nach § 1 GewSchG rechtfertigen würde und hierfür Beweis angeboten. Sie behauptet insofern, dass die Antragsgegnerin sie am 1.1.2013 u.a. an den Haaren gezogen und sie so zu Boden gebracht habe. Für den Vorfall hat sie Beweis durch Vernehmung der Zeugen R. und H. sowie ihrer Kinder Leyla und Latifa angeboten.

2. Der Antrag ist nicht mutwillig.

Eine Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde (statt aller Musielak/Fischer, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 114 Rz. 30; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 114 Rz. 30 m.w.N.).

a) Vorliegend ...

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